Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
aber immerhin empfiehlt, dich vorläufig einem praktischen Beruf zuzuwenden. Besonders im Erzbergbau würden dringend Arbeitskräfte benötigt. Hier stehst du, du kannst nicht anders, Gott hilft dir nicht, amen. Man hatte sich leider einen für diese Zeiten völlig untauglichen Vater ausgesucht, man hätte damals vor achtzehn Jahren, als man in die Welt gesetzt wurde, vorsichtiger sein müssen.
    Das Männlein sagte: Schäden an der empfangenen Wäsche werden vom Lohn abgezogen, Verlust vom Lohn abgezogen, vorzeitiger Verschleiß abgezogen, mutwillige Beschädigung … Christian stieß seinen Nachbarn an, aber der sah nur dumpf vor sich hin.
    Sehr begabt, hatte der Herr Klassenlehrer Buttgereit gesagt, sehr begabt. Immerhin durfte ›der ehemalige Herr Obergefreite‹ wieder lehren. Er hatte treu und brav getan, was ihm befohlen war, damals; wußte auch heute wieder genau Bescheid: krumm, gerade, Recht, Unrecht. »Das Kommunistische Manifest« hatte er in einer stillen Stunde gelernt. Nazi war er nicht gewesen. Betete nun die Proletarier aller Länder |15| herunter wie einst Hans Fritzsche und den »Völkischen Beobachter«.
    Er aber, Christian Kleinschmidt, er durfte Steine schippen und sich in diesem Bergwerk den Schädel einrennen. Selbstredend gab es keine Kollektivschuld, das hatte der große Stalin in jenem Artikel, den sie zweimal durchgekaut hatten, ausdrücklich gesagt. Und was der große Stalin sagte, hatte gefälligst die lautere Wahrheit zu sein, einstimmig, Punkt.
    Viel Freude hatten sie ihm ja nicht bereitet. Buttgereit nicht, und Göring, dem Russischlehrer, erst recht nicht. Göring hatte die ganze Penne gegen sich. Es war eine ausgemachte Frechheit, wenn ein Russischlehrer ausgerechnet Göring hieß, darüber waren sich alle einig. Sie hatten in den zensierten und zurückgegebenen Russischarbeiten nachträglich richtige Vokabeln mit einem Rotstift als falsch angestrichen, waren damit zum Direx gegangen und hatten sich über die Qualifikation des Herrn Göring beschwert. Der Direx hatte ihnen geglaubt, und Göring war drei Tage lang ganz klein durch das Schulhaus geschlichen; er hatte gedacht, alle Tricks zu kennen, diesen aber hatte er nicht gekannt, und er hatte ihnen nicht einmal etwas nachweisen können. Christian war es einmal gelungen, Buttgereit mit Kreide ein großes leuchtendes ›PG‹ auf den Rücken seines blauen Tuchzweireihers zu malen, Buttgereit war damit die ganze Zehnuhrpause über den Hof stolziert, die anderen Lehrer hatten getan, als sähen sie nichts, Buttgereit erfreute sich auch unter ihnen keiner großen Beliebtheit. Christian war damals für Wochen der Held der Schule gewesen, Buttgereit hatte nie herausbekommen, wer ihm diesen Streich gespielt hatte. Aber er hatte sich auf seine Art an allen, die ihm verdächtig schienen, gerächt. Den kleinen Pinselstein zum Beispiel hatte er mit pausenlosen Eintragungen ins Klassenbuch und Briefen an die Eltern beim geringfügigsten Anlaß langsam, aber sicher fertiggemacht. Buttgereit wußte, daß der |16| Herr Rechtsanwalt Pinselstein in solchen Dingen keinen Spaß verstand.
    Der Lagerverwalter hatte sich inzwischen von ihrem Transportbegleiter die Namensliste geben lassen und begann aufzurufen: Ahnert, Bertram, Billing, Buchmeier … Nach jedem vierten Namen nannte er Baracken- und Zimmernummer, die Aufgerufenen griffen ihre Koffer und Bündel und gingen langsam ins Lager. Daumann, Dombrowski, Drescher, Eilitz …
    Das ist auch kein Beinbruch, hatte Vater gesagt. Arbeit schändet nicht. Er hatte für jede Situation sein Sprichwort parat, sein Zitat, seine Redensart. Manchmal half das auch. Erhardt, Feller, Fichtner, Fuhlgrabe … Und er hatte gesagt: Laß dir ruhig ein bißchen Wind um die Nase wehen, das kann nicht schaden. Waren ja auch windstille Zeiten, weiß Gott. – Und dann hatten sie das Theodor-Körner-Denkmal vom Sockel geholt, weil Körner ein Kriegspropagandist gewesen war, und Buttgereit immer forsch dabei. Allerdings hatten sie es einige Zeit später wieder aufgestellt, ein Versehen sozusagen. Daß er mit dem besten Abgangszeugnis der 12b nicht studieren durfte, während andere, die mit Ach und Krach ein schwaches Gut geschafft hatten, mit Kußhand angenommen wurden, weil ihr Vater zufällig Schlosser oder rechtzeitig in die richtige Partei eingetreten war, das war sicherlich auch nur ein Versehen. Hunger, Illgen, Irrgang, Kaufmann … Windstille Zeiten, wahrhaftig. Nicht etwa, daß er Angst vor dem Schacht gehabt hätte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher