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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz
Autoren: Werner Bräunig
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keineswegs. Und wenn schon, dann würde er sich das nicht anmerken lassen. Kleinschmidt! Gewiß doch, ich komme ja schon. Kleinschmidt, Loose, Mehlhorn, Müller …
    Sie brachen auf, das Haus vierundzwanzig zu suchen. Die Gruppe der Wartenden war zusammengeschmolzen, es mochten noch fünfzehn, sechzehn Männer sein. Es war nun völlig Tag geworden, der Himmel schimmerte sehr blau unter den hellgrauen Wolken, und manchmal warf er ein Bündel |17| Sonnenstrahlen über das Land. Aber es roch immer noch faulig, die Straßen zwischen den Baracken waren morastig, der Boden dampfte.
    Christian ging hinter den drei anderen. Der Dicke vor ihm war Mehlhorn, Christian hatte dicht neben ihm gestanden, vorhin, als der Dicke beim Aufrufen sein strammes »Hier!« gebrüllt hatte. Mehlhorn trug einen vollgepfropften Militärrucksack; er hatte sich nicht ganz schließen lassen, unter den Schnüren lugte ein Stück Zeitungspapier hervor. Christian konnte eine Schlagzeile entziffern: Margarine ist gesünder. – Immer, wenn in Deutschland die Butter knapp war, wiesen die Chemiker die Bekömmlichkeit der Margarine nach.
    Die roten Ziffern an den Barackenwänden waren verblichen, von einigen waren nur ein paar Farbkratzer übriggeblieben. Der dicke Mehlhorn fragte einen Kumpel, der unter einem Gartenschlauch seine Gummistiefel abspülte, nach dem Haus vierundzwanzig. Sie waren schon zu weit gegangen, hatten die Abzweigung verfehlt, das Haus lag etwas außerhalb des Lagers auf einer Anhöhe. Sie kehrten um.
    Sie schlurften über den glitschigen Boden zwischen den Baumstümpfen, zwischen den farblosen Grasbüscheln, zwischen den eintönigen Baracken, eine wie die andere kahl und kalt, wichen den Pfützen aus, glitten manchmal ab, sie zogen die Füße aus dem Schlamm und schlurften weiter. Christian war zerschlagen von der schlaflosen Nacht unten im Hof der Objektverwaltung, in dem engen, schlecht gefederten Omnibus; die Tragriemen seines Rucksackes schnitten ihm in die Schultern, der Koffer hing wie ein Bleiklumpen am gefühllosen Arm. Er spannte den Rücken, richtete sich auf und huckte den Rucksack höher, fiel aber sofort wieder in eine gekrümmte Haltung zurück, die den Atem beengte und die Rippen eindrückte. Er konnte nicht mehr sagen, in welche Richtung sie gegangen waren, ihm schien eine Ecke wie die andere, ein blindes Fenster wie jedes, die Bodendämpfe flimmerten vor seinen Augen, die Häuser kamen auf ihn zu, |18| schwankend, gleich werden sie zusammenstürzen. Die Scheiben werden bersten, die Dächer in sich zusammensinken, nur die Flammen fehlten, die Detonationen, der rote Himmel und die Schreie, wahnsinnig von Angst und Hitze und Feuer, aber der Boden schwankte wie damals. Vor ihm ging der Vater, strauchelnd, der Rucksack preßte ihn zu Boden, dieser riesige Segeltuchklumpen, Margarine ist gesünder, aber er spürte die Mutter nicht mehr hinter sich, Mutter, wartet doch. Sie warteten nicht. Sie stolperten weiter. Dicht hinter ihm ging rauschend eine Mauer nieder, ein Stein traf ihn an der Schulter, warf ihn zu Boden, er riß sich wieder hoch, nur weiter, weiter, die vorn warteten nicht, die Stadt ging unter, die Welt ging unter, weiter. Aber er konnte nicht weiter. Er warf sich auf den rauchenden Trümmerhaufen, dorthin, wo eben noch Straße gewesen war, er scharrte sich die Hände blutig, er schrie. Ein brennender Balken zerdrückte den Mann neben ihm. Er spürte die ungeheure Welle nicht, die ihn hochhob, fallen ließ, er klammerte sich an den Sockel einer umgeknickten Laterne; Eisenträger, Fenstersimse, Menschen wirbelten vorüber, aber die Bombe war dahin gefallen, wo schon kein Haus mehr war, sie konnte nur die schon Begrabenen noch einmal in den Himmel schleudern. Von oben warfen sie Sprengbomben in die brennende Stadt, Sprengbomben hinter den Brandbomben her, und immer neue Phosphorkanister. Der kochende Phosphor fraß sich in die Steine, kroch näher, Straßenbahnschienen bogen sich aus dem Pflaster, die Luft drang wie glühende Lava in die Lungen, die tauben Trommelfelle hörten die Schreie nicht mehr, da sah er plötzlich den Hund, den kleinen schwarzen Hund mit dem versengten Fell, der sich zitternd und keuchend an ihn drängte, den Kopf unter seinen Arm schob, um nicht hören und nicht sehen zu müssen. Und er riß sich wieder hoch, ein brüllender Schatten. Etwas raste über ihn hinweg, ein brennendes Flugzeug, das die Schornsteinchen wegrasierte und einen Kilometer weiter am brennenden Turm einer brennenden
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