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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos
Autoren: William Boyd
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als ein Glas getrunken hatten.
    Ihr Vater zwang sie förmlich auf den Stuhl; sie lehnte das Glas Portwein ab, nach dem es sie so dringend gelüstete. Sie sah, dass sich Romer diskret zurücklehnte, mit übergeschlagenen Beinen, sie sah dieses feine, berechnende Lächeln in seinem Gesicht. Das Lächeln eines Mannes, dachte sie, der genau zu wissen glaubt, was als Nächstes passiert.
    Entschlossen, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen, stand sie auf. »Ich muss los«, sagte sie. »Ich komme zu spät ins Kino.«
    Irgendwie gelangte Romer vor ihr zur Tür, seine Finger ergriffen ihren rechten Ellbogen.
    »Mr Delektorski«, sagte er zu ihrem Vater, »kann ich irgendwo unter vier Augen mit Eva sprechen?«
    Sie wurden in sein Arbeitszimmer geleitet, eine kleine Kammer am Ende des Flurs, die mit steif wirkenden Porträtfotos der Familie Delektorski ausgestattet war, einem Schreibtisch, einem Diwan und einem Regal voller Bücher seiner russischen Lieblingsautoren: Lermontow, Puschkin, Turgenjew, Gogol, Tschechow. Es roch nach Zigarren und der Pomade, die sich ihr Vater ins Haar rieb. Sie trat ans Fenster und sah Madame Roisanssac beim Wäscheaufhängen. Plötzlich war ihr mulmig zumute. Sie hatte geglaubt, spielend mit Romer fertig zu werden, aber nun, allein mit ihm im Zimmer ihres Vaters, sah alles ganz anders aus.
    Und als hätte er das gespürt, veränderte sich auch Romer: Seine maßlose Selbstsicherheit wich einer direkteren, verbindlicheren Art. Er drängte sie, sich zu setzen, und zog einen Stuhl für sich hinter dem Schreibtisch hervor, setzte sich ihr gegenüber, als wollte er mit ihr so etwas wie ein Verhör beginnen. Er hielt ihr sein verbeultes Zigarettenetui hin, sie nahm eine Zigarette, sagte gleich darauf: Nein, lieber nicht, und gab sie zurück. Sie verfolgte, wie er sie wieder einsteckte, offensichtlich ein wenig irritiert. Wenigstens ein winziger Sieg, dachte sie – alles zählte, wenn es galt, diese Fassade aus lässiger Arroganz zu durchbrechen, und sei es nur für einen Augenblick.
    »Kolja hat für mich gearbeitet, als er umkam«, begann Romer.
    »Das sagten Sie schon.«
    »Er wurde von den Faschisten ermordet, den Nazis.«
    »Ich dachte, es sei Raubmord gewesen.«
    »Er hat … er hat gefährliche Aufträge ausgeführt – und er wurde entdeckt. Ich glaube, es war Verrat.«
    Eva wollte etwas sagen, entschied sich aber dagegen. In der jetzt entstehenden Stille holte Romer sein Etui erneut heraus und durchlief das ganze Ritual – er steckte die Zigarette in den Mund, klopfte die Taschen nach dem Feuerzeug ab, nahm die Zigarette aus dem Mund, stauchte sie an beiden Enden auf das Etui, zog den Aschenbecher auf dem Schreibtisch ihres Vaters näher heran, zündete die Zigarette an, inhalierte und stieß energisch den Rauch aus. Eva verfolgte den ganzen Vorgang und versuchte, völlig unbeteiligt zu wirken.
    »Ich arbeite für die britische Regierung«, sagte er. »Sie verstehen, was ich meine …«
    »Ja«, sagte Eva. »Ich glaube.«
    »Auch Kolja hat für die britische Regierung gearbeitet. Auf meine Anweisung hat er versucht, die Action Française zu infiltrieren. Er hat sich der Bewegung angeschlossen und mir über alle Entwicklungen berichtet, die für uns von Bedeutung sein könnten.« Er wartete ab, ob sie nachfragen würde, beugte sich vor und erklärte mit ruhiger Stimme: »Es wird Krieg geben in Europa, in sechs Monaten oder einem Jahr – zwischen Nazideutschland und etlichen europäischen Ländern, so viel ist sicher. Ihr Bruder war Teil des Kampfes gegen diesen bevorstehenden Krieg.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Dass er ein tapferer Mann war. Dass er nicht umsonst gestorben ist.«
    Eva unterdrückte das sarkastische Lachen, das ihr in der Kehle saß, und fast im gleichen Augenblick spürte sie Tränen in sich aufsteigen.
    »Ich wünschte, er wäre ein Feigling gewesen«, sagte sie und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken, »dann wäre er noch am Leben. Dann könnte er im nächsten Moment durch diese Tür kommen.«
    Romer stand auf und stellte sich ans Fenster, wo auch er nun verfolgte, wie Madame Roisanssac ihre Wäsche aufhängte, bis er sich wieder abwandte, sich auf die Schreibtischkante setzte und ihr in die Augen sah.
    »Ich möchte Ihnen Koljas Job anbieten«, sagte er. »Ich möchte, dass Sie für uns arbeiten.«
    »Ich habe einen Job.«
    »Sie bekommen fünfhundert Pfund pro Jahr. Sie werden britische Bürgerin mit britischem Pass.«
    »Nein,
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