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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos
Autoren: William Boyd
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drein als gewöhnlich, beinahe entsetzt. Die englische Grammatik machte ihm sowieso zu schaffen – er ächzte, stöhnte, murmelte Französisches –, aber heute trieb ich ihn zur Verzweiflung.
    »My doing nothing – was?«, sagte er hilflos.
    »My doing nothing – nichts. Das ist ein Gerundium.« Ich versuchte, munter und motiviert auszusehen, beschloss dann aber, zehn Minuten früher Schluss zu machen. Im Kopf spürte ich den Druck erzwungener Konzentration – ich hatte mich mit wahrem Feuereifer in die Arbeit gestürzt, nur um meinen Verstand zu beanspruchen –, aber nun war es vorbei mit meiner Geduld. »Das Gerundium und das Gerundiv nehmen wir uns morgen vor«, sagte ich, klappte das Buch zu (Life with the Ambersons, Vol. Ill), und da ich sah, wie sehr ich ihn verunsichert hatte, fügte ich begütigend hinzu: »C’est très compliqué.«
    »Ah, bon.«
    Nicht nur Hugues, auch ich hatte die Amberson-Familie und ihre anstrengenden Ausflüge durch die englische Grammatik gründlich satt. Und doch war ich an die Ambersons und ihren schrecklichen Lebenswandel gefesselt wie ein Lohndiener, denn der nächste Schüler war schon im Anmarsch – also noch zwei Stunden in ihrer Gesellschaft.
    Hugues zog seine Jacke über – sie war olivgrün und schwarz kariert und vermutlich aus Kaschmirwolle. Offenbar sollte es eine Jacke sein, wie sie von typischen Engländern getragen wurde, wenn sie nach ihren Hunden schauten, ihren Gutsinspektor aufsuchten, Tee mit ihrer alten Tante tranken, aber ich musste zugeben, dass mir ein Landsmann mit so edler und gut geschnittener Kleidung noch nicht über den Weg gelaufen war.
    Hugues Corbillard stand in meinem kleinen, engen Arbeitszimmer, noch immer mit verstörtem Gesicht, und strich über seinen blonden Schnurrbart – sicher denkt er über das Gerundium und das Gerundiv nach, dachte ich. Er war eine junge, aufstrebende Führungskraft bei P’TIT PRIX, einer französischen Discounterkette, und seine Chefs hatten ihn dazu verdonnert, sein Englisch aufzubessern, damit P’TIT PRIX neue Märkte erschließen konnte. Ich mochte ihn – eigentlich mochte ich die meisten meiner Schüler –, aber Hugues war von einer seltenen Faulheit. Oft sprach er die ganze Stunde hindurch Französisch, während ich Englisch mit ihm redete, aber heute hatte ich ihn über die Eskaladierwand gejagt. Normalerweise redeten wir über alles, nur nicht über englische Grammatik, um uns die Ambersons und ihre Abenteuer zu ersparen – ihre Reisen, ihre kleinen Katastrophen (tropfende Wasserhähne, Windpocken, gebrochene Gliedmaßen), Verwandtenbesuche, Weihnachtsfeiertage, Schulprüfungen und so weiter –, und immer öfter landete unsere Unterhaltung bei der außergewöhnlichen Hitze dieses Sommers, bei den Qualen, die Hugues in seinem stickigen Bed & Breakfast auszuhalten hatte, bei seiner Empörung, dass ihm abends um sechs, während die Sonne auf den versengten und ausgedörrten Garten niederbrannte, eine reguläre Mahlzeit in drei Gängen zugemutet wurde. Wenn ich Gewissensbisse bekam und Hugues ermahnte, Englisch zu sprechen, erwiderte er mit schüchternem Lächeln und im Wissen, dass er gegen die strengen Vertragsbestimmungen verstieß, es sei schließlich alles Konversation, n’est-ce pas?, und diene daher der Verständigung, oder? Ich widersprach nicht, schließlich bekam ich sieben Pfund dafür, dass ich eine Stunde mit ihm plauderte – und wenn er zufrieden war, war ich’s auch.
    Ich führte ihn durch die Wohnung zur hinteren Treppe. Wir befanden uns im ersten Stock, und im Garten sah ich Mr Scott, meinen Vermieter und Zahnarzt, bei seinen skurrilen Lockerungsübungen – er wedelte mit den Armen und stampfte mit seinen großen Füßen, bevor er sich in der Praxis unter mir einen neuen Patienten vorknöpfte.
    Hugues verabschiedete sich, ich setzte mich in die Küche, bei offener Tür, und wartete auf die nächste Schülerin von Oxford English Plus. Das war ihre erste Stunde, und außer ihrem Namen – Bérangère Wu –, ihrem Status – Anfänger/Fortgeschritten – und ihrem Stundenplan – vier Wochen lang zwei Stunden täglich – wusste ich wenig über sie. Gut verdientes Geld. Dann hörte ich Stimmen im Garten und trat hinaus auf die schmiedeeiserne Treppe und sah, wie Mr Scott auf eine kleine Frau im Pelzmantel einredete, wobei er wiederholt auf den Ausgang zeigte.
    »Mr Scott«, rief ich, »ich glaube, die Dame will zu mir.«
    Die Frau – eine junge Frau, eine junge orientalische Frau
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