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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits
Autoren: John Harwood
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Heiligenschein die Umrisse eines Kopfes umschwebte und sich in die Gestalt einer Frau, verschleiert in Lichtgewänder, zu entfalten schien.Sie glitt vom Kabinett fort und begann den Tisch zu umrunden. Als sie sich näherte, konnte ich die Bewegungen ihrer Glieder unter dem Schleier sehen, dann den Glanz ihrer Augen und die Andeutung eines Lächelns. Ihre Wirkung zeigte sich in dem schnelleren Atmen der anderen.
    «Arabella», sagte eine männliche Stimme aus der Dunkelheit zu meiner Linken, «kommst du zu mir?»
    Sie ging hinter meinem Stuhl vorbei, wobei sie deutlich den Duft von Parfüm verströmte (und, dachte ich, nach menschlichem Körper), näherte sich dem Tisch, bis der Mann, der gesprochen hatte, leicht vom Schein ihrer Gewänder erleuchtet war. Sie küsste seinen kahlen Scheitel, was den übrigen Anwesenden einen tiefen Seufzer entlockte, ehe sie von dannen glitt. Sie war etwa zu drei Vierteln um den Tisch gegangen, als ich einen unterdrückten Aufschrei hörte und das Scharren eines Stuhles und als ein anderes Licht sich in der Dunkelheit vor ihr erhob: Ein kleiner Lichtkranz erhellte das Gesicht von Mr   Thorne, während er seine Hand ausstreckte und den zurückweichenden Geist am Handgelenk packte.
    «Ein Kampf ist zwecklos, Miss Carver», sagte er trocken. «Ich heiße Vernon Raphael und bin von der Gesellschaft für die Erforschung der Psyche. Wären Sie so gut, sich den Anwesenden zu erklären?»
    Alle im Zimmer waren in Aufruhr. Meine Hände wurden losgelassen, Stühle wurden umgeworfen und etliche Streichhölzer entzündet, die Mr   Thorne – oder vielmehr Mr   Raphael – sichtbar werden ließen, der eine sehr wütende Miss Carver auf Armeslänge von sich hielt, deren Korsett und Unterwäsche deutlich sichtbar waren unter den durchscheinenden Schichten von etwas, das feiner Musselin sein musste. Eine Sekunde später hatte sie sich befreit und stürzte in das Kabinett zurück, wo sie die Vorhänge hinter sich zuzog.
    Ich hätte erwartet, dass die Teilnehmer sie wieder herauszerren würden. Doch zu meinem großen Erstaunen griffen sicheinige der Männer stattdessen Vernon Raphael, nannten sein Eingreifen einen Skandal, eine Schändung und eine verdammenswerte Blamage, während sie ihn zur Tür drängten. Einem Impuls folgend stand ich auf und ging ihnen nach. «Schon gut, schon gut. Ich geh ja schon», hörte ich Vernon Raphael sagen, als sie ihn die Treppe hinunterjagten. Sein Hut wurde ihm auf die Straße hinaus nachgeworfen. Niemand bemerkte, wie ich meinen Mantel und meine Haube von der Garderobe nahm und Mr   Raphael die Stufen nach unten folgte. Dort wartete ich, bis ich hörte, wie die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Vernon Raphael ging langsam davon und wischte dabei den Schmutz von seinem Hut.
    Er sah mich reuevoll an, als ich ihn eingeholt hatte.
    «Sind Sie auch gekommen, um mich für meine Grausamkeit an Geistern anzuklagen, Miss   …?»
    «Miss Langton. Und, nein, darum nicht. Ich wollte nur   –»
    Ich hielt inne und fragte mich, was ich eigentlich von ihm wollte. Im Tageslicht war sein Haar strohfarben, mit einem Stich ins Rötliche. Seine Augen waren von einem intensiven, eher kalten Blau, und sein Gesicht hatte einen irgendwie listigen Ausdruck, aber die Prise Humor in seiner Stimme gefiel mir. Wir gingen weiter. Es war später Nachmittag und die Straße verhältnismäßig ruhig.
    «Sind Sie von der Gesellschaft angestellt, Mr   Raphael, um Schwindler aufzuspüren?» Mrs   Veasey hatte mich vor der «Society for Psychical Research», der Gesellschaft für die Erforschung der Psyche, gewarnt, bezeichnete ihre Mitglieder als Skeptiker und Ungläubige, die keinen Respekt vor den Verstorbenen hätten.
    «Wenn man so will. Ich bin einer der professionellen Prüfer, aber Betrug aufzudecken ist nur ein Teil meiner Arbeit – eigentlich eher ein Hobby. Und Sie, Miss Langton? Was führt Sie in Miss Carvers Salon?»
    Nochmals wünschte ich, ich hätte nicht meinen wirklichenNamen genannt. Was, wenn er seine Aufmerksamkeit nach Holborn richtete? Aber dann dachte ich, dass wir wohl wenig zu fürchten hätten, jetzt, wo ich ihn kannte.
    «Neugier», sagte ich. «Denken Sie, Mr   Raphael, dass alle Medien von Geistern Betrüger sind?»
    «Alle Erscheinungs-Medien, ja.»
    «Und mentale Medien?», das Wort hatte ich von Mrs   Veasey. Er sah mich neugierig an.
    «Ich verstehe, Sie kennen sich aus. – Manche sind Schwindler; andere machen sich vor allem selbst etwas vor.»
    «Vor
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