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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels
Autoren: Sabine Kuegler
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spannend und farbig erzählt hatte. Wann immer wir zusammen am Feuer saßen oder längere Fahrten mit dem Boot unternahmen, hatte er phantastische Geschichten auf Lager, die er von seinem Großvater und anderen Stammesältesten gehört hatte. Es waren Geschichten über Tiere und Pflanzen, aber auch Mythen, die über Generationen weitergegeben worden waren und von Menschenschicksalen berichteten.
     
    Einige Tage nach unserer Ankunft in Papua-Neuguinea flogen wir weiter ins Landesinnere. Dass wir kommen würden, wusste nur ein auserwählter Kreis aus Steffens Netzwerk. Ein Sicherheitstrupp aus mehreren Papua, die uns schon mit Spannung erwarteten, sollte uns während des gesamten Aufenthalts schützen. Im Nachhinein staune ich darüber, wie wenig wir uns der Gefahr bewusst waren, und wie viel Glück wir hatten, dass wir weder den indonesischen noch den Sicherheitskräften aus Papua-Neuguinea in die Hände gefallen sind. Das verdanken wir diesen Männern, die uns mit viel Mut und Ausdauer Tag und Nacht bewachten.
    Unser erster Aufenthaltsort war ein Gebiet, das mir ein Priester einmal als »das Ende der Welt« beschrieben hatte, und ich stellte bald fest, dass diese Beschreibung vollauf zutraf. Hier, weitab von der Welt, so wie wir sie kennen, herrschten andere Gesetze. Man hätte dieses Gebiet auch als den Wilden Westen Asiens bezeichnen können. Es war ein widersprüchlicher Ort von unbeschreiblicher Schönheit und gleichzeitig großem Elend. Trotzdem habe ich diese Gegend liebgewonnen. Der Urwald ragte weit hinauf in den Himmel und umzingelte uns. Was für ein unglaubliches Gefühl, seine Magie zu spüren und seinen vertrauten Duft in sich aufzunehmen!
    Wir übernachteten in einem kleinen Gästehaus, und kurze Zeit später bekamen wir Besuch von drei älteren papuanischen Männern. Sie hatten unsere Ankunft erwartet und sollten uns zu den Flüchtlingsdörfern führen. An diesem Abend saßen wir lange zusammen, und sie erzählten uns ihre Geschichten. Sie hatten alles miterlebt – die Zeit, als die Holländer noch in ihrem Land waren, die Invasion durch Indonesien, die Flucht aus den Dörfern und den Kampf um das Land West-Papua und ums Überleben. Mit Tränen in den Augen berichteten sie mir von all denen, die es nicht geschafft hatten oder die unbeschreibliche Torturen erleiden mussten. Sie hatten mit ansehen müssen, wie eine Frau aus ihrer Familie gequält worden war: Die indonesischen Soldaten hatten kleine scharfe Chilis auf bestialische Weise in jede Körperöffnung dieser Frau gestopft, vom Mund über die Ohren bis zu ihren Genitalien. Sie hatte diese Folter nicht überlebt – und die Männer können ihre Schreie bis heute hören.
     
    Es wurde eine lange Nacht. Ich konnte nicht schlafen und fragte mich ständig, was die nächsten vier Wochen wohl mit sich bringen würden, bis ich in der Morgendämmerung endlich einschlief.
    Wir hatten uns einen Jeep gemietet, denn wir mussten weit ins Landesinnere fahren, um die Flüchtlingsdörfer zu erreichen. Auf den Holzfällerstraßen war es möglich, bis tief hinein in die Regenwaldgebiete zu kommen. Am nächsten Tag gingen wir zunächst zu einem der wenigen Supermärkte, wo wir Säcke mit Reis und andere Lebensmittel einkauften, die für die Flüchtlinge bestimmt waren. Wir wussten nicht genau, wie ihre Situation war, doch Steffen meinte, nach allem, was er gehört hatte, konnte es ihnen nicht besonders gut gehen.
    Nach ungefähr zwei Stunden Fahrt bog Toni von der Piste auf einen unscheinbaren Pfad ab. Wir fuhren ein Stückchen weiter, bis wir einen Mann sahen, der mit Pfeil und Bogen bewaffnet war. Er gebot uns, anzuhalten. Die drei Papua, die wir am Vorabend getroffen hatten und die unsere wichtigsten Kontaktmänner waren, stiegen aus. Sie baten uns zu warten, denn sie wollten vorausgehen, um unser Kommen anzukündigen. Aus Sicherheitsgründen, sagte Toni. Später verstand ich, was er damit meinte.
    Nach ungefähr einer halben Stunde kam einer der Männer zurück, und wir konnten weiterfahren. Unser Jeep quälte sich langsam einen Hügel hinunter, bis wir die erste Hütte erreichten. Von dort mussten wir zu Fuß weiterlaufen. Einige Frauen erwarteten uns, ihre Blicke waren finster, voller Misstrauen. Sie führten uns über einige kleine Brücken, bis ich zwei größere, hintereinander liegende Hütten sah.
    Obwohl es Regenzeit war, brannte die Sonne mit voller Kraft auf uns herab. Je näher ich der kleinen Menschenmenge kam, die sich vor der ersten Hütte
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