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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten
Autoren: Marcel Feige
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schlichte Levis-Shirt war zugegebenermaßen keine ganz unverdächtige Bekleidung für diese Jahreszeit. Für einen kurzen Moment kreuzten sich die Blicke der beiden seltsamen Gestalten, ein kaum wahrnehmbares Nicken, als hätten sie ein stilles Übereinkommen getroffen.
    »Soll das alles ein Witz sein?«
    »Ein Witz?«, wiederholte die Haube. »Wenn Se Mord einen Witz nennen, dann ist das Ihr jutes Recht. Wenn wir Se aber mit aufs Revier nehmen, ist das unser jutes Recht.«
    Philip war irgendwie benebelt und rührte sich nicht. Ein Königreich für eine Erklärung.
    »Junger Mann, wenn Se sich schon hier herumtreiben, dann werden Se sicher auch den Mord beobachtet haben, oder nich?« Mit seinem Prügel wies die Haube auf eine Menschentraube ein Stück weiter, die sich um einen Tümpel scharte. Er war sich sicher, an dieser Stelle hatte ein Haus gestanden. Nein: Hier würde einmal ein Haus stehen. Jetzt gab es nur Müll und Schlamm. Und uniformierte Männer, die eine Gruppe von Neugierigen davon abhielten, dem Tümpel und dem, was auch immer dort so interessant sein mochte, zu nahe zu kommen.
    Die Ereignisse nahmen immer bizarrere Züge an. Wo bin ich gelandet? Oder lag er noch immer auf den Stufen zur U-Bahnstation am Potsdamer Platz und kurierte seinen Drogenrausch aus? Dann sollte er jetzt besser aufwachen, bevor er erfror.
    Die Haube packte seinen rechten Ellenbogen. »Kommen Se mit.«
    Philip widersetzte sich. Der Druck auf seinen Arm wurde stärker, und Finger gruben sich in die Haut. Der Schmerz, als ihm abrupt der Arm auf den Rücken gebogen wurde, fühlte sich sehr real an. Der Schnauzbart tastete ihn mit flinken Händen ab und fischte das Handy aus seiner Hosentasche. Er präsentierte es seinem Kollegen, und beide staunten es mit großen Augen an. Klar, sie sahen zum ersten Mal ein Mobiltelefon. Philip grinste müde in sich hinein; der Gedanke konnte ihn nicht mehr erschrecken. Was unliebsame Überraschungen betraf, besaß er inzwischen ein dickes Fell; und die zwei eigentümlichen Gestalten waren ihm deutlich lieber als ein ganzer Club voller Zombies.
    »Was is’n das?«, fragte der Schnauzbart.
    »Ein Handy! Noch nie eins gesehen?« Die Haube bog den Arm noch einen Deut höher. Philip schrie auf. »Verdammt, was soll das?«
    Sie verloren die Geduld und schleiften ihn wortlos zu einem Gefährt, das keine Ähnlichkeit mit einem Transporter hatte, wie Philip ihn kannte. Der Schnauzbart zog die Tür an der Wagenrückseite auf und sagte: »Wollen wir doch mal sehen, wer hier den längeren Atem hat.«
    Mit dieser Drohung warfen sie ihn unsanft auf eine Pritsche im Inneren des Gefährts. Die Tür flog ins Schloss und Philip saß im Dunkeln. Der Motor wurde angelassen, laut knatternd wie ein Zweitakter. Dann rollte der Wagen an, und für eine lange Zeit blieb Philip nichts anderes zu tun, als dem unheilvollen Röhren der Maschine zu lauschen und sich in den Kurven festzuklammern, um nicht von der Metallpritsche zu rutschen.
    Vor einem roten Backsteinkoloss hielten sie, unsanft wurde er aus dem Wagen gezerrt und die Stufen zum Eingangsportal hinaufgestoßen. Währenddessen versuchte er sich, einen Überblick zu verschaffen. Wo zum Teufel brachten sie ihn hin? Doch das imposante Gebäude, das vor ihm aufragte, war ihm gänzlich unbekannt, und auch die angrenzenden Häuser blieben in ihrer ganzen ornamentalen Pracht ein Rätsel.
    Der Schnauzbart und die Haube führten ihn zwei Stockwerke nach oben; auf der Treppe begegneten sie weiteren Uniformierten. Oben angekommen, schubste einer der beiden ihn in einen Raum, der bis auf einige Schemel und einen Tisch leer war. »Warten!«, bellte der andere. Sie postierten sich zu beiden Seiten der Tür, verschränkten die Arme vor der Brust und fixierten ihn mit finsteren Blicken.
    Philip nahm auf einem der Holzschemel Platz. Vor ihm auf dem Tisch lagen Zeitungen. Er griff nach einer davon, Lokal-Anzeiger, las er auf dem in altdeutschen Lettern gesetzten Titel. ›Mordserie nimmt kein Ende: Vermisste Frauen tot aufgefunden!‹ Der abgedruckte Text listete sieben Namen auf. Bei allen sieben Frauen handelte es sich um Wirtschafterinnen des Schlachters Großmann. ›Hinzu kommen über 20 weitere weibliche Personen, die mit Großmann gesehen wurden und nun verschwunden sind.‹
    In Philips Kopf klingelte etwas; er hatte diesen Namen schon einmal gehört. Aber es wollte ihm partout nicht einfallen, wo. Und seine nächste Entdeckung trug nicht dazu bei, seiner Erinnerung auf die
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