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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs
Autoren: Sorj Chalandon
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Stühlen ausgetragen worden war, hatten mein Vater und seine Kameraden beschlossen, der spanischen Republik zu Hilfe zu kommen. Mehrere Tage lang sprach er nur noch davon,wieder in den Krieg zu ziehen. Schön, aufrecht, aufgeregt marschierte er mit großen Schritten durch unsere Küche wie ein Soldat. Er wollte die Männer der Connolly-Kolonne mit den internationalen Brigaden vereinigen. Irland, sagte er, habe eine Schlacht verloren, der Krieg spiele sich jetzt anderswo ab. Mein Vater war nicht bloß Republikaner. Als Katholik aus Nachlässigkeit hatte er sein Leben lang für die soziale Revolution gekämpft. Die IRA sollte seiner Meinung nach eine revolutionäre Armee sein. Er verehrte unsere Fahne, aber die rote der Arbeiterkämpfe bewunderte er.
    Damals war er einundvierzig, ich elf. Er hatte seine Tasche für Madrid schon gepackt. Ich erinnere mich an diesen Morgen. Meine Mutter war in der Küche, sie hatte die ganze Nacht mit ihm geredet. Und geweint. Sein Gesicht war versteinert. Sie schälte Kartoffeln. Leise murmelte sie unsere Namen, einen nach dem anderen. Wie ein Gebet, eine schmerzliche Litanei. Sie saß am Tisch, wiegte den Körper langsam vor und zurück und betete sie herunter wie die Perlen eines Rosenkranzes. »Tyrone … Kevin … Áine … Brian … Niall …« Mein Vater stand mit dem Rücken zu ihr vor der Eingangstür, die Stirn ans Holz gelehnt. Wenn er ginge, sagte sie, müssten wir hungern. Sie könne uns niemals alle versorgen. Das Land würde uns nicht mehr ernähren, wenn sie keinen Mann mehr hätte. Alle würden sich von uns abwenden, wenn wir vorübergingen. Uns Kinder würden die Barmherzigen Schwestern holen. Dann würden wir mit anderen Straßenkindern auf den Booten von Father Nugent nach Québec oder Australien verschifft werden. Mein Vater würde fallen. Und nie mehr wiederkommen. Sie würde allein zurückbleiben undnicht mehr leben wollen. Außerdem sei Spanien weiter weg als die Hölle. Ich weiß noch genau, was mein Vater dann tat: Er schlug mit der Faust gegen die Tür. Heftig, ein einziges Mal, als verlangte er Audienz bei dem gefallenen Engel. Dann drehte er sich langsam um, mit zusammengepressten Lippen. Sah meine Mutter an, die hinter einem Haufen Kartoffelschalen am Tisch saß. Nahm seine für den nächsten Tag gepackte Tasche. Und warf sie quer durch den Raum in den Ofen. Selbst das Feuer wirkte überrascht. Zuckte vor dem Luftzug zurück. Dann umhüllten die blauen Flammen den Stoff, es roch nach Torf und Tuch. Mein Vater war wie erstarrt. Manchmal machte er solche Sachen, deren Sinn er selbst nicht begriff. Einmal trat er mich ins Kreuz, und als ich mit eingeknickten Armen vor ihm auf dem Bauch lag, betrachtete er mich, ohne zu verstehen, was ich da auf dem Boden machte. Er hob mich auf und klopfte mir die Kiesel von den aufgeschürften Beinen. Dann entschuldigte er sich, aber das alles sei meine Schuld, ich hätte ihn eben nicht so anschauen dürfen, mit diesem trotzigen Blick und dem Lächeln auf den Lippen. Er liebe mich dennoch. Sosehr er könne. Ein anderes Mal sah er Blut an meinem Mund. Ich kannte dessen herben Geschmack und hatte es extra über mein Kinn rinnen lassen und die Augen verdreht, als würde ich gleich umkippen. Da kriegte er Angst, glaube ich. Mit der Handfläche wischte er mir über Lippen und Hals. »Mein Gott!«, sagte er immer wieder, »mein Gott!« Als ob nicht er mich geschlagen hätte, sondern ein anderer. Manchmal, wenn er mich im Dunkeln geohrfeigt hatte, legte er die Finger unter meine Augen. Er wollte wissen, ob ich weinte. Ich wusste immer, dass das kommen würde. Von den ersten Schlägenan wusste ich das. Seine Strafaktionen endeten immer damit, dass er sich meines Schmerzes vergewissern wollte. Aber ich weinte nicht. Nie. »So wein doch!«, flehte meine Mutter. Also steckte ich mir die Finger in den Mund, während ich mein Gesicht schützte, und befeuchtete sie mit Speichel, den ich mir auf die Wangen schmierte. Er hielt meinen Speichel für Tränen und hatte endlich die Gewissheit, dass sein Teufelsbalg die Lektion verstanden hatte.
    An diesem Morgen, vor dem Herd, sah er genauso überrascht drein. Er begriff nicht, was er gerade getan hatte. Er schaute auf seine Tasche, seine Sachen, sein Leben. Seine Hosen, seine kragenlosen Hemden, seine zwei Westen, sein eines Paar Schuhe, seine Pfeife zum Wechseln. Und seine Bibel, die eine sehr blaue Flamme ergab.
    Mein Vater packte mich am Arm. Zerrte mich gewaltsam aus dem Haus. Schleppte mich
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