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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben
Autoren: Ishmael Beah
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über

    * Single

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    die Straße oder aber über den Fluss Jong. Die Rebellen griffen die Stadt vom Inland aus an, zwangen die Zivilisten, zum Fluss zu rennen. Viele Menschen waren so verängstigt, dass sie zum Fluss rannten und hineinsprangen, dann aber nicht genügend Kraft zum Schwimmen hatten. Die Soldaten, die
    den Angriff vorhergesehen hatten und wussten, dass sie unter-legen waren, hatten die Stadt verlassen, bevor die Rebellen überhaupt eingetroffen waren. Für Junior, Talloi, Khalilou, Gibrilla, Kaloko und mich kam dies völlig unerwartet, denn unser erster Instinkt war gewesen, dorthin zu laufen, wo die Soldaten stationiert waren. Wir standen vor den aufgetürmten Sandsäcken und konnten uns nicht entscheiden, was wir tun sollten. Wir rannten in die Richtung, aus der wir nicht so viele Schüsse hörten. Es gab nur einen Fluchtweg aus der
    Stadt heraus. Alle liefen darauf zu. Mütter schrien die Namen ihrer vermissten Kinder und die Kinder schrien vergebens
    zurück. Wir rannten gemeinsam, versuchten zusammenzub-
    leiben. Um zu dem Fluchtweg zu gelangen, mussten wir ein
    kleines, feuchtes Sumpfgebiet durchqueren, das sich an einen niedrigen Hügel anschloss. Im Sumpf rannten wir an Leuten vorbei, die im Schlamm stecken geblieben waren, an behin-derten Menschen, denen nicht geholfen werden konnte,
    denn jeder, der haltmachte, riskierte sein eigenes Leben.
    Nachdem wir den Sumpf durchquert hatten, ging der Ärger
    erst richtig los, denn jetzt schossen die Rebellen auf die Flie-henden, nicht mehr nur in die Luft. Sie wollten nicht, dass die Menschen die Stadt aufgaben, denn sie brauchten Zivilisten als Schutzschilde gegen das Militär. Eines der Hauptziele der Rebellen bei der Eroberung einer Stadt war, die Zivilisten zum Bleiben zu zwingen, besonders die Frauen und Kin-
    der. Auf diese Weise konnten sie sich länger halten, denn militärische Eingriffe wurden dadurch verzögert.
    Wir befanden uns nun auf einer Lichtung kurz vor der
    Stelle, an der der Fluchtweg begann, oben auf dem stark be-wachsenen Hügel direkt hinter dem Sumpf. Als die Rebellen sahen, dass fast alle Zivilisten entkommen würden, feuerten sie mit Panzerfäusten, Maschinengewehren, Kalaschnikows,
    G3-Gewehren und mit allen anderen Waffen, die ihnen zur

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    Verfügung standen, direkt auf die Lichtung. Aber wir wussten, dass wir keine Wahl hatten, wir mussten diese Lichtung überqueren, denn für uns als Jungen war das Risiko, in der Stadt zu bleiben, noch sehr viel größer als das eines Fluchtversuchs. Jungen wurden sofort rekrutiert und bekamen mit einem heißen Bajonett die Initialen RUF eingebrannt, an
    einer beliebigen Körperstelle, wie es den Rebellen gerade gefiel. Das bedeutete nicht nur, dass man ein Leben lang gezeichnet war, sondern auch, dass man ihnen niemals mehr
    entkommen würde, denn wenn man gebrandmarkt mit dem
    Zeichen der Rebellen floh, bedeutete das den sicheren Tod, weil man sowohl von Soldaten wie von militanten Zivilisten ohne weitere Fragen getötet werden würde. Wir sprangen
    von Gebüsch zu Gebüsch und schafften es auf die andere Sei-te. Doch das war erst der Beginn vieler riskanter Situationen, die noch kommen sollten. Unmittelbar nach einer Explosion standen wir auf und rannten gemeinsam mit eingezogenen
    Köpfen los, sprangen über frische Leichen und Flammen, die aus dem brennenden Unterholz loderten. Wir hatten fast das Ende der Lichtung erreicht, als wir ein weiteres Panzerfaustgeschoss zischend herannahen hörten. Wir legten einen Zahn zu und tauchten hinter einen Busch ab, kurz bevor die Granate einschlug, worauf mehrere Salven Maschinengewehr-
    feuer folgten. Die Leute direkt hinter uns hatten nicht so viel Glück wie wir. Die Granate erwischte sie. Einer wurde von den Splittern getroffen. Laut schrie er, dass er blind sei. Niemand wagte es, zu ihm zu gehen und zu helfen. Die Explosi-on einer weiteren Granate stoppte ihn, seine Überreste und sein Blut regneten auf die umstehenden Bäume und Blätter
    herunter. All das passierte viel zu schnell.
    Kaum hatten wir die Lichtung überquert, schickten die
    Rebellen ein paar ihrer Männer los, um diejenigen einzufangen, die es in die Büsche geschafft hatten. Sie jagten uns nach und schossen auf uns. Wir rannten über eine Stunde, ohne
    stehen zu bleiben. Unglaublich, wie schnell und wie lange wir rannten. Ich schwitzte nicht einmal und wurde auch
    nicht müde. Junior war vor mir, Talloi hinter mir. Alle paar Sekunden rief mein Bruder meinen Namen, um
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