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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See
Autoren: Morgan Callan Rogers
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knetete, formte ihn und ließ den Laib in eine Form gleiten. Dann breitete sie ein Geschirrtuch darüber und stellte die Form auf die sonnige Fensterbank, wo bereits vier weitere standen.
    »Die Sonne gibt ihnen Kraft«, sagte sie. »Und jetzt beeil dich. Sie sollen ja gemeinsam gehen.«
    Beim nächsten Teig gab ich alles, schlug und knetete, so fest ich konnte. Als ich meine zweite Form auf die Fensterbank stellte, packte sie mir schon den dritten Teigkloß auf den Tisch.
    Wir schwitzten wie verrückt. Bevor Carlie zur Arbeit gegangen war, hatte sie mir die Haare zu zwei straffen Zöpfen gebunden, die nicht mal ein Sturm zerzaust hätte, aber Grands feine weiße Strähnen, die sie hochgesteckt hatte, hatten sich beinahe gelöst. Wenn ich sie ansah, wurde mir noch heißer.
    »Kannst du mir sagen, warum ich mich bereit erklärt habe, das hier zu machen, Florine?«
    Ich wusste, warum. Stella Drowns hatte uns in Rays Laden gesehen und festgenagelt. Stella wohnte in einem kleinen Apartment über dem Laden. Sie machte die Kasse, löste Krabbenfleisch aus und erledigte alle möglichen anderen Dinge, für die Ray keine Zeit hatte.
    Sie war schmal und blass, mit einem Kissen aus schwarzem Haar, das glänzte wie eine nasse Miesmuschelschale. Sie trug roten Lippenstift und Wimperntusche und lackierte sich die Nägel an ihren langen Fingern. Ihre hellgrauen Augen waren schwarz umrandet. Eigentlich war sie hübsch, bis auf eine lange Narbe, die quer über ihre Wange lief und bis unters Kinn reichte.
    Ich hasste sie, weil sie gemein zu Carlie war. Vor Carlie hatte Daddy sich jahrelang immer wieder mal mit Stella getroffen. Angeblich war Stella der Geduldsfaden gerissen, weil er ihr keinen Heiratsantrag machte, und sie hatte The Point verlassen, um zu sehen, ob er ihr nachlaufen würde. Das hatte er nicht getan, Carlie war aufgetaucht, und als Stella sich zur Rückkehr entschloss, waren die beiden schon verheiratet gewesen.
    Einmal, ich war damals sieben, waren Carlie, Madeline, Dottie und ich zusammen von Rays Laden nach Hause gegangen. Während Dottie und ich an einem Riegel Turkish Taffy herumkauten, unterhielten sich Carlie und Madeline, die mit den Einkaufstüten auf dem Arm hinter uns hergingen. Carlie sagte zu Madeline: »Ich schwöre dir, diese Frau würde mich am liebsten in Stücke reißen und in alle Winde verstreuen.«
    »Was? Wer?«, fragte Madeline.
    »Stella«, sagte Carlie. »Wenn sie mich nur ansieht, kriege ich eine Gänsehaut.«
    »Ach, nimm dir das nicht so zu Herzen«, sagte Madeline. »Seit dem Unfall ist sie ein bisschen seltsam.«
    Stella hatte als Einzige von sechs Jugendlichen einen schweren Autounfall am Pine Pitch Hill überlebt. Es hieß, Glassplitter hätten ihre Wange so aufgeschlitzt, dass die Haut gegen Augen und Nase geklappt war und wieder angenäht werden musste.
    Einmal, als ich allein in Rays Laden gegangen war, hatte sie mich dabei ertappt, wie ich die Narbe anstarrte. Sie fuhr mit dem Finger darüber und sagte: »Siehst du dir das hier an, Florine?« Sie beugte sich über den Tresen und senkte die Stimme. »Stell dir vor, ein schöner Sommerabend, all die Jungs und Mädchen um mich herum tot, nur mir ging’s gut, bis auf das Blut, das mir in die Augen lief. Schau sie dir gut an, meine Kleine, damit du nie vergisst, was du besser nicht tust.«
    Sie konnte einem Angst einjagen, aber sie wusste auch, wie man Leute umgarnte. Vor ein paar Tagen, als Grand und ich im Laden gewesen waren, um Milch zu kaufen, hatte Stella Grand Komplimente gemacht, wie gut sie doch backen könne. Und jetzt stand Grand in der Küche und backte Brot für die einhundert Gäste, die am Samstag zum Bohnenessen kommen würden. Während wir den Teig dafür bearbeiteten, beschimpfte ich Stella im Stillen mit Ausdrücken, von denen Grand bestimmt nicht wusste, dass ich sie kannte.
    »Mir tun die Arme weh«, maulte ich.
    »Sei froh, dass du Arme hast«, gab Grand zurück.
    Draußen ertönte das Signalhorn eines Bootes.
    »Gelobt sei der Herr, sie sind wieder da.« Jeden Nachmittag begrüßte Grand die hereinkommenden Hummerboote. Das ließ sie niemals ausfallen, ganz gleich, was geschah. Es würde Unglück bringen, sagte sie.
    Als wir auf die verglaste Veranda traten, glitten zwei ansehnliche Boote an Grands Haus vorbei: Bert Butts rote Maddie Dee, gefolgt von Daddys Carlie Flo, deren dunkelgrüner Bug sich durch den Kanal pflügte. Bert zog noch einmal am Horn der Maddie Dee, und Daddy winkte uns zu. Bud und sein Vater Sam
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