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Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Titel: Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Autoren: Kerstin Signe Danielsson , Roman Voosen
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unterschiedlich, aber dennoch war ihren Reaktionen etwas gemein, eine intuitive Abwehr gegen das, was dort zu sehen war, gegen die Kraft des Unmenschlichen, das den kleinen Bildschirm von Delgados Handy zu sprengen drohte.
    Nyström sah das Entsetzen in den Gesichtern der Leute, die Angst, die Verwirrung, den Schock. Ein Mann fluchte, ein anderer begann zu wimmern. Eine Frau biss sich in die Hand. Die meisten wandten sich ab, so schnell es ging. Einer war wie ein Mönch gekleidet. Als er das Foto sah, bekreuzigte er sich. Er betete, schnell und laut, aber Nyström verstand kein Wort. Der Mann redete italienisch. Seine Stimme überschlug sich. Er bekreuzigte sich erneut, zweimal, dreimal, küsste das Kreuz, das um seinen Hals hing, dann zeigte er mit ausgestrecktem Arm auf das Foto. Er rief in gebrochenem Englisch:
    » It’s him! «
    »Wer?«
    Sie stieß Delgado an.
    » Who? Who is he? « Delgados Stimme warf ein Echo in der Großküche, die sie zu einem Vernehmungsraum umfunktioniert hatten.
    Die Augen des Mönches waren aufgerissen.
    » It’s Saint Sebastian! The holy martyr! «
    »Was meint er?«
    Nyström riss an Delgados Ärmel herum.
    »Der heilige Sebastian, ein Märtyrer. Sagt er.«
    Delgado zuckte die Schultern.
    Alle sahen sich an.
    »Was bedeutet das?«, fragte Hultin.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Delgado.
    »Wir brechen das hier ab«, sagte Nyström. »Besorgt einen Dolmetscher. Und noch was, Anette: Ich will Stina Forss hier haben. So schnell es geht.«
    »Aber ... sie ist doch ...«
    »Verdammt, Anette! Hol sie gefälligst her! So schnell es geht!«
    Hultin und Delgado starrten sie an. Nyström atmete schnell. Sie hatte geflucht. Soweit sie wusste, war ihr das noch nie im Dienst passiert. Was für eine lächerliche Chefin du bist, dachte sie. Dann biss sie sich auf die Lippe und ließ sich im Spülbecken ein Glas kaltes Wasser ein.
    5
    Stina Forss glitt aus einem beinahe traumlosen Schlaf. Sie erinnerte sich lediglich an Schemen von geometrischen Mustern, Dreiecke waren es gewesen, der Schatten eines Rechtecks, möglicherweise auch ein Halbkreis. Dann öffnete sie die Augen. Was sie sah, war ein stark behaarter Männerrücken. Der Rücken roch nach Alkohol. Und nach Fisch. Dann begriff sie: Ein Rücken riecht nicht nach Alkohol und auch nicht nach Fisch, das, was sie da roch, musste ihr eigener Atem sein, Wodka und Hering in rauen Mengen. Sofort wurde ihr schlecht. Sie drehte sich um. Da war noch ein Männerrücken. Schmaler als der auf der anderen Seite, heller in der Hautfarbe und auch nicht behaart, aber definitiv ein Männerrücken, keine Frage. Auch ihr Atem sah das so. Mehr Fisch, noch mehr Wodka. Ihr Magen rührte sich gefährlich. Jetzt aber schnell. Irgendwie kam sie an den Körpern vorbei aus dem Bett, strampelte dabei das Laken von sich, stolperte, fing sich, drei lange Schritte, ein anderer Raum, aus den Augenwinkeln: ein Sofa mit noch einem schlafenden Nackten darauf, diesmal auch ein Gesicht dazu, kein Mann, ein Jüngling eher, vielleicht sechzehn oder siebzehn, was hatte das alles zu bedeuten?
    Hatte sie etwa ...?
    Mit beiden? Oder sogar ...?
    Egal, später.
    Sie lief aus dem Zimmer, aus der Hütte, links das Klohäuschen, rechts der Steg, sie entschied sich für den Steg und endlich übergab sie sich. Als sie schließlich fertig war und sich ihr Magen und auch das Wasser unter ihr wieder beruhigt hatten, sah sie ihr eigenes Spiegelbild auf der glänzenden Oberfläche des Sees. Ihr Mascara war verschmiert und auf ihrer rechten Brust war etwas, ein Knutschfleck. Ansonsten sah sie ganz lebendig aus. Dann schwamm eine interessierte Barschschule durch sie hindurch. Am Ufer schnatterte eine Ente, vielleicht war es aber auch ein Haubentaucher. Was wusste sie schon von Vögeln? In der Ferne zog das altmodische Dampfschiff Thor über den See. Es tutete. Dann lösten sich seine Konturen im Gegenlicht auf. Geometrie, die verschwand. Beinahe wie in ihrem Traum.
    Zurück im Haus setzte sie Kaffeewasser auf. Auf dem Küchentisch lagen Bierdosen und leere Flaschen aus ungefärbtem Glas, offene Fischdosen und ölige Teller, ein Taschenspiegel und ein halbierter Strohhalm. Als der Kessel zu pfeifen begann, regte sich der Körper auf dem Sofa und richtete sich auf. Blonde lange Haare fielen über ein hübsches Gesicht. Erik, wenn sie sich richtig erinnerte. Dann musste der im Bett Claas sein. Aber vielleicht war es auch umgekehrt. Oleg hatte die beiden Tramper auf einer Autobahnraststätte aufgegabelt.
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