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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer
Autoren: Maggie Stiefvater
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rast mein Herz wie verrückt in meiner Brust. Tick-tick-tick, flach und schnell, und ich hoffe inständig, dass er sich bereit erklärt zu bleiben, wenn ich es mir nur anders überlege.
    Schließlich aber sagt er: »Na gut. Dann bleibe ich noch bis nach dem Rennen.« Er wirkt verärgert. »Aber nicht länger, sonst fahren bis zum Frühjahr keine Boote mehr. Das ist wirklich eine total hirnrissige Idee, Kate.«
    Er ist wütend auf mich, aber das ist mir egal. Alles, woran ich denken kann, ist, dass er bleibt, wenn auch nur ein kleines bisschen länger.
    »Tja, scheint, als könnten wir das Preisgeld gut gebrauchen«, bemerke ich und versuche, so erwachsen und gleichgültig wie möglich zu klingen, obwohl ich in Wirklichkeit hoffe, dass er sich vielleicht entschließt zu bleiben, wenn ich das Geld tatsächlich gewinne. Dann stehe ich vom Tisch auf und stelle meinen Teller und meine Teetasse in die Spüle wie an einem ganz normalen Abend. Ich gehe in mein Zimmer, mache die Tür hinter mir zu und vergrabe den Kopf unter meinem Kissen, damit niemand mich hört.
    »Selbstsüchtiger Mistkerl«, flüstere ich in meinen Kissenbezug.
    Dann breche ich in Tränen aus.

4
    Sean Ich träume vom Meer, als sie mich wecken.
Genauer gesagt träume ich von der Nacht, in der ich Corr gefangen habe, aber ich kann das Meer in meinem Traum hören. Es gibt eine Legende, dass Capaill Uisce, die in der Nacht gefangen werden, schneller und stärker sind, also hocke ich um drei Uhr morgens auf einem Felsen am Fuß der Klippen, etwa hundert Meter vom Sandstrand entfernt. Über mir hat die See eine Art Grotte in den Kalkstein gegraben, deren dreißig Meter hohe Decke und weiße Wände mich nun umgeben. Es sollte dunkel hier sein, wo das Mondlicht nicht hingelangt, aber die Wasseroberfläche reflektiert die hellen Felsen und ich sehe gerade genug, um nicht über die zerklüfteten, mit Seetang bedeckten Steinbrocken auf dem Boden zu stolpern. Der Fels unter meinen Füßen hat mehr gemein mit dem Meeresgrund als mit der Küste und ich muss aufpassen, auf dem glitschigen Stein nicht auszurutschen.
    Ich lausche.
    In der Dunkelheit, in der Kälte lausche ich auf kleine Veränderungen im Meeresrauschen. Das Wasser steigt, schnell und lautlos; die Flut kommt und in etwa einer Stunde wird das Wasser in dieser unvollständigen Höhle höher stehen, als ich groß bin. Ich lausche auf ein Platschen, auf Hufe, die die Oberfläche durchbrechen, auf ein Zeichen dafür, dass ein Capaill Uisce aus dem Meer steigt. Denn wenn ich erst Hufschläge auf Stein höre, bin ich tot.
    Aber ich höre nichts als die gespenstische Stille des Wassers: keine Seevögel am Nachthimmel, keine Fischer an der Küste, kein Bootsmotor, der in der Ferne brummt. Der unbarmherzige Wind findet mich in meiner Grotte. Seine Wucht bringt mich aus dem Gleichgewicht, ich taumele und kann mich erst wieder fangen, als ich mit gespreizten Fingern an die Wand gepresst werde. Hastig ziehe ich die Hand zurück – die Wände der Grotte sind mit blutroten Quallen bedeckt, die im Mondlicht schimmern und glitzern. Mein Vater hat mir einmal erklärt, dass sie vollkommen harmlos sind. Ich habe ihm nicht geglaubt. Nichts ist vollkommen harmlos.
    Unter mir schlängelt sich das Wasser zwischen den Felsbrocken hindurch, als die Flut kommt. Meine Handfläche blutet.
    Ich höre einen Laut, wie von einem miauenden Kätzchen oder einem schreienden Säugling, und erstarre. An diesem Strand gibt es keine Kätzchen oder Säuglinge, es gibt nur mich und die Pferde. Brian Carroll hat einmal erzählt, dass er manchmal, wenn er nachts draußen auf dem Meer ist, die Rufe der Pferde hören kann. Er hat gesagt, es klinge wie Walgesang, eine klagende Witwe oder wie leises Kichern.
    Ich blicke in das Wasser in der tiefsten Spalte unter mir; es steigt rasch an. Wie lange habe ich hier gestanden? Die Felsbrocken vor mir haben sich bereits in kleine, feucht glänzende Inseln verwandelt, die noch eben über die Wasseroberfläche ragen. Ich habe nichts erreicht und mir läuft die Zeit davon – ich muss umkehren, zurück über die mit schleimigem Tang überzogenen Felsen, solange ich noch kann.
    Ich betrachte meine Hand; ein stetiges Rinnsal von Blut quillt aus der Wunde in meiner Handfläche und strömt zwischen meinen beiden Unterarmknochen nach unten zum Ellbogen. Dort sammelt es sich und tropft schließlich lautlos ins Wasser. Der Schmerz wird erst später kommen. Ich blicke ins Wasser, wo mein Blut verschwindet. Ich
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