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Rosa

Rosa

Titel: Rosa
Autoren: Felix Thijssen
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Pavlova zusammensetzen darf, um die Zeit bis zu seiner Pensionierung totzuschlagen. Danach überwintert er dann von seiner Rente auf Mallorca und spielt Bridge mit den anderen Alten.«
    »Nur weiter so«, sagte Julia.
    Schräg gegenüber begann ein alter Türke, mit einem dicken Pinsel Buchstaben auf die Rückseite seines Gartenhauses zu malen. »Oder er kauft sich einen gebrauchten Wohnwagen«, fuhr Kars fort, »und fährt zum Camping in die Veluwe.«
    Weiße Lettern, heimliche Graffiti, nur sichtbar für die Nachbarn. JESUS LEBT. Die Ehefrau erledigte mit Kopftuch die Einkäufe im Supermarkt, die Kinder waren in der Schule, Großvater würde mit Genickschuss in den Sarg gelegt und in den Zug nach Istanbul verfrachtet, wenn die Familie dahinterkäme, wer sein neuer Erlöser war. Wenigstens hatte Kneshof das mit der Polizei nicht erwähnt.
    »Besser Mallorca, als entlassen zu werden«, entgegnete Julia.
    Kars sah, wie die Knöchel seiner Hände um das Geländer weiß wurden. Noch brauchte er sie. »Ich habe gekündigt.«
    Irgendwo anders im Paradies erwachte kreischend eine Kettensäge zum Leben. Die junge Birke, irgendwann einmal ein leuchtend grüner Fleck, war zu einem kranken alten Riesen geworden. Weg damit. Kars holte tief Luft, drehte sich um. Julia stand mit gefalteten Händen da und schaute ihn an, wie sie einen angeschwemmten Walfisch angesehen hätte. Er dachte an die Kettensäge und küsste sie auf die Wange. »Lass dir nichts einreden«, flüsterte er über den Lärm hinweg.

 

2
    Die Haustür schlug in ihrem Traum zu, doch die Schritte auf der Treppe waren bereits Realität, und sie war wach, als ihre eigene Tür knarrte. Sie suchte unter dem Laken nach ihrem T-Shirt, konnte es nicht finden.
    »Viel Schlaf und wenig Sex, das macht träge.«
    »Halt die Klappe. Ich dachte schon …« Ihre Augen fanden Victor in der offenen Glastür, geronnenes Blut im Gesicht. »Was hast du jetzt schon wieder angestellt?«
    »Da hat einer mit seinem Glas herumgefuchtelt. Damit rechnet man nicht.«
    Sie erschrak. »Du musst zum Arzt.«
    »Zum Teufel mit den Ärzten.«
    Er hatte seinen kobaltblauen Anzug und das knallrosa Hemd zu Hause gelassen und anlässlich Gerdas Geburtstag einen beigefarbenen Pullover und eine braune Kordhose angezogen, doch mit seinem dunkelhäutigen Gesicht, dem platt an den Kopf gekämmten, fettigen schwarzen Haar und den falschen Goldringen an den Fingern sah er trotzdem aus wie eine Halbweltfigur. Schlafmangel hing ihm in Ringen unter den schwarzen Augen. Er schwor, dass er nur ganz wenig trank und die Finger von den Drogen ließ. Betty hasste das Verantwortungsgefühl, das er jedes Mal unwillkürlich in ihr wachrief.
    Sie bedeckte mit dem Laken ihre Brüste. »Dreh dich um.«
    »Ich bin dein Bruder, Schätzchen.«
    »Gerda hätte dich damals vor die Kirchentür legen sollen.«
    »Dann wäre ich Messdiener geworden.«
    »Ich will, dass du mir meinen Schlüssel wiedergibst«, sagte sie.
    »Deinen Schlüssel hast du, der hier gehört mir. Ich habe mir überlegt, noch ein paar davon nachmachen zu lassen und sie meistbietend im Club zu versteigern, mit Fotos.« Victor feixte. Er hatte wieder einmal einen von diesen Scheißjobs als Barkeeper in einem Nachtclub, wo mit Gläsern geschmissen wurde.
    Ihr Hemd lag in der schmalen Ritze zwischen Matratze und Bettgestell. Sie fischte es heraus, zog es über den Kopf, stand auf, streifte ihren Slip über und zupfte das Bettzeug provisorisch zurecht. Es verlangte einige Akrobatik, in einem so kleinen Raum ein Bett zu machen, das nicht viel besser war als eine Matratze auf dem Fußboden, verjährte Studentenromantik. Jeden Tag sehnte sie sich mehr nach einer normalen Wohnung, einem normalen Aufzug, normalen Schlafzimmern, einem richtigen Bad, Türschlössern, einem normalen Leben. Einem normalen Mann.
    Victor lümmelte sich auf dem orangefarbenen Sofa und betrachtete ihren Hintern. »Du kannst schon mal Kaffee aufsetzen«, fauchte sie ihn an, bevor sie die beiden Stufen zum Flur hinaufstieg, der zur Küche führte. Auf halbem Weg lag das winzige Bad mit Dusche, Toilette, Wäscheleinen und Geburtstagskalender, alles in einem Raum. Man konnte Platzangst kriegen.
    Sie duschte, trocknete sich ab. Ihre Kleider hingen am Haken an der Tür, doch der Rock war zu kurz für einen Besuch bei Gerda, deshalb ging sie mit dem Handtuch um sich gewickelt zum Schrank auf dem Flur, um ihr rostbraunes Kleid zu holen. Ihre Mutter war das Einzige, was sie mit Victor gemeinsam
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