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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition)
Autoren: Imre Kertész
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alte, bis auf das fehlende Dreieck und die fehlende Nummer unveränderte Stück tat es letzten Endes auch, ja, ich hatte es mir geradezu ausgesucht, ich hing geradezu daran: So konnte es wenigstens keine Missverständnisse geben – meinte ich –, nun, und dann war es auch eine recht angenehme, zweckmäßige, leichte Bekleidung, zumindest so im Sommer, wie ich fand. Den Weg legten wir auf Lastwagen, Fuhrwerken, zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück – je nachdem, womit uns die verschiedenen Armeen dienen konnten. Wir schliefen auf Ochsenfuhrwerken, auf den Bänken und Kathedern verlassener Schulzimmer oder ganz einfach unter dem sommerlichen Sternenhimmel, in den Beeten, auf dem weichen Rasen von Parks zwischen schmucken Pfefferkuchenhäusern. Wir fuhren sogar mit dem Schiff, auf einem – zumindest für das an die Donau gewöhnte Auge – nicht sonderlich großen Strom, der, wie ich erfuhr, Elbe heißt, und ich passierte einen Ort, der offensichtlich früher eine Stadt gewesen war, jetzt aber insgesamt nur noch aus Schutthaufen und ein paar schwarzen, nackten Mauern bestand. Am Fuß dieser Mauern und Trümmer, nun und dann unter den Überresten von Brücken lebten, wohnten und schliefen die Einheimischen jetzt, und ich versuchte mich darüber zu freuen, versteht sich, nur musste ich spüren: Gerade sie machten mich dabei verlegen. Ich schaukelte in einer roten Straßenbahn dahin und reiste mit einer richtigen Eisenbahn, die richtige Waggons mit richtigen, für Menschen bestimmten Abteilen hatte – auch wenn ich zufällig nur noch auf ihrem Dach Platz fand. In einer Stadt stieg ich aus und hörte da neben dem Tschechischen schon viele ungarische Wörter, und während wir am Bahnhof auf den versprochenen Anschlusszug am Abend warteten, scharten sich Frauen, Alte, Männer, allerlei Leute um uns. Sie wollten wissen, ob wir aus dem Konzentrationslager kämen, und fragten viele von uns, so auch mich, ob wir dort nicht vielleicht einem ihrer Angehörigen begegnet seien, einem mit diesem oder jenem Namen. Ich sagte ihnen, im Konzentrationslager hätten die Menschen im Allgemeinen keinen Namen. Daraufhin bemühten sie sich, das Äußere, das Gesicht, die Haarfarbe, die besonderen Merkmale des Betreffenden zu beschreiben, und ich versuchte ihnen begreiflich zu machen, dass das keinen Zweck habe, weil sich die Menschen im Konzentrationslager zumeist sehr verändern. Worauf sie sich dann langsam verliefen, bis auf einen, der ganz sommerlich nur mit Hemd und Hose bekleidet war und die Daumen seitlich, wo die Hosenträger befestigt waren, hinter den Bund geklemmt hatte, während die übrigen Finger außen auf dem Stoff herumspielten und trommelten. Er war neugierig, zu erfahren – worüber ich ein bisschen lächeln musste –, ob ich die Gaskammern gesehen hätte. Ich sagte: «Dann würden wir jetzt nicht miteinander sprechen.» – «Na ja», sagte er, aber ob es wirklich Gaskammern gegeben habe, und ich sagte, aber ja, unter anderem gebe es auch Gaskammern, natürlich, und alles habe davon abgehangen, in welchem Lager welche Gebräuche herrschten. In Auschwitz zum Beispiel habe man mit ihrem Vorhandensein rechnen müssen. Ich hingegen – bemerkte ich – käme aus Buchenwald. «Woher?», fragte er, und ich musste es wiederholen: «Aus Buchenwald.» – «Also aus Buchenwald», sagte er und nickte dazu, und ich antwortete: «Ja.» Worauf er sagte: «Also, Moment mal», und das mit einer starren, strengen, beinahe schon schulmeisterlichen Miene. «Demnach hat der Herr», und ich weiß gar nicht, warum, aber irgendwie berührte mich diese ernsthafte, um nicht zu sagen einigermaßen feierliche Anrede, «von den Gaskammern gehört», und ich sagte wieder: «Aber ja.» – «Wobei Sie sich», so fuhr er fort, noch immer mit dieser starren Miene, gleichsam in den Dingen Ordnung und Klarheit schaffend, «aber doch nicht persönlich, mit eigenen Augen davon überzeugt haben», und ich musste zugeben: «Nein.» Worauf er bemerkte: «Aha», um dann weiterzutrippeln, steif, gerade aufgerichtet und, wie mir schien, irgendwie auch befriedigt, sofern mich nicht alles getäuscht hat. Bald darauf hieß es dann: Los, der Zug ist da, und ich konnte mir sogar einen recht guten Platz ergattern, auf einem Trittbrett der breiten, hölzernen Wagentreppe. Gegen Morgen bin ich erwacht, und da dampften wir gerade munter dahin. Und später wurde ich darauf aufmerksam, dass ich die Ortstafeln schon auf Ungarisch lesen konnte. Die
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