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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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war Zeit zum Weiterfahren; die Sonne senkte sich am Horizont, die Nacht war nahe. Der Graf wurde daher ungeduldig.
    »Nun, wo sind die Eier!«
    Und da er die Frau nicht zurückkommen sah, machte er sich auf die Suche nach ihr. Er trat in den Stall, blickte dann in die Remise, aber die Frau war nicht zu finden. Nun ging er hinter das Haus, um einen Blick in den Schuppen zu werfen. Aber hier hielt ihn plötzlich etwas Unerwartetes auf. Auf dem Boden lag die kleine, schwarze Henne, leblos, tot. Am Schnabel sah man nur einen dünnen lila Blutstrom, der noch immer floß.
    Zuerst war er bloß erstaunt. Er bückte sich und berührte sie. Sie war warm, weich und schlaff, wie ein Lappen. Zweifellos ein Schlaganfall. Aber gleich darauf wurde er furchtbar bleich. Die Wahrheit überkam ihn und ließ ihn erstarren. Wie in einem Blitz stieg vor ihm der kranke Leo XIII. auf – dann Santobono, wie er zu dem Kardinal Sanguinetti um Nachrichten eilte, und hierauf nach Rom ging, um dem Kardinal Boccanera den Korb Feigen zum Geschenk zu bringen. Und er erinnerte sich der Gespräche seit Frascati, über den eventuellen Tod des Papstes, die möglichen Kandidaten auf die Tiara, die legendenhaften Giftgeschichten, die die Umgebung des Vatikans noch in Schrecken versetzten; er sah den Pfarrer wieder vor sich, wie er voll väterlicher Sorgfalt sein Körbchen auf den Knieen hielt; er sah die kleine, schwarze Henne wieder vor sich, wie sie in den Korb pickte und mit einer Feige im Schnabel davon lief. Die kleine Henne lag da, tot, vom Blitz getroffen.
    Seine Ueberzeugung stand sofort unumstößlich fest. Aber er hatte nicht einmal die Zeit, sich zu fragen, was er thun solle, denn eine Stimme hinter ihm rief:
    »Sieh da, die kleine Henne! Was hat sie denn?«
    Es war Pierre; er hatte Santobono wieder einsteigen lassen und dann ebenfalls die Runde um das Haus gemacht, um sich die Bruchstücke der halbzerfallenen Wasserleitung unter den Schirmpinien mehr in der Nähe anzusehen.
    Noch zitternd, als wäre er der Schuldige, antwortete Prada mit einer Lüge; er hatte sie nicht vorher bedacht und gab einer Art Instinkt nach.
    »Sie ist tot ... Stellen Sie sich vor, es hat hier eine Schlacht gegeben. Gerade als ich kam, hatte sich jene andere Henne – die Sie dort unten sehen – auf diese hier gestürzt, um die Feige zu bekommen, die sie noch immer hielt. Sie schlug ihr mit einem Schnabelhieb den Schädel ein ... Sie sehen, das Blut fließt noch.«
    Warum sagte er das? Er wunderte sich selbst, während er diese Dinge erfand. Wollte er also Herr der Situation bleiben, niemand ins Vertrauen ziehen, um dann nach seinem Gefallen zu handeln? Was ihn bewegte, war gleichzeitig eine schüchterne Befangenheit vor dem Fremden, eine persönliche Neigung zu Gewaltthätigkeit, die seiner ehrlichen Empörung etwas wie Bewunderung beimischte, und ein heimliches Bedürfnis, die Sache vom Standpunkt seines persönlichen Interesses zu untersuchen, ehe er einen Entschluß faßte.
    Ein ehrlicher Mann war er; er würde es sicherlich nicht zulassen, daß man Leute vergiftete.
    Pierre, der gegen Tiere mitleidig war, sah die Henne mit jener leisen Bewegung an, die ihm jede plötzliche Unterdrückung des Lebens verursachte. Er nahm die Geschichte ganz natürlich hin.
    »Ach, diese Hennen! Sie sind unter sich von einer albernen Wildheit, der die Menschen kaum gleichkommen! Ich hatte bei mir zu Hause einen Hühnerhof und keine von ihnen konnte sich den Fuß verletzen, ohne daß alle anderen, wenn sie Blut fließen sahen, auf sie lospickten und sie bis auf die Knochen auffraßen.«
    Prada entfernte sich sofort. Just suchte ihn auch die Frau, um ihm vier Eier zu übergeben, die sie mit großer Mühe in den Winkeln des Hauses ausgenommen hatte. Er beeilte sich, sie zu bezahlen, und rief Pierre, der noch zögerte:
    »Beeilen wir uns, beeilen wir uns! Jetzt werden wir erst bei dunkler Nacht in Rom sein.«
    Im Wagen trafen sie Santobono, der ruhig wartete. Er hatte seinen Platz auf dem Klappsitz wieder eingenommen, lehnte das Rückgrat fest gegen den Kutschersitz, hatte seine langen Beine unter sich gezogen und hielt auf den Knieen abermals den kleinen, so zierlich geordneten Korb Feigen, den er mit seinen groben, knorrigen Händen beschützte, als sei er etwas Seltenes und Zerbrechliches, dem das geringste Rütteln der Räder hätte schaden können. Seine Sutane bildete einen großen, dunklen Fleck. In seinem derben, erdfarbenen Gesicht – dem Gesichte eines Bauern, der dicht an
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