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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot
Autoren: Ingrid Noll
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Silvia groß an: »Anne, ich bewundere dich, wie du so gar nicht über Overprotection nachgrübelst.«
    Mich packte die kalte Wut, aber ich brachte kein Wort heraus.
    Lucie, die pädagogisches Fachwissen für sich allein beanspruchte, konterte mit Gehässigkeit: »Bei Silvia kann davon ja zum Glück nicht die Rede sein, sie kümmert sich bestimmt keine Minute zuviel um ihre Brut.«
    Ja, sie verbringe Tag und Nacht im Stall, bestätigte Udo, und einen Tafelspitz - und sei er zäh oder ausgelaugt - habe sie noch nie serviert.
    Silvia war so verletzt, daß sie als Revanche die Pornosammlung ihres Mannes zur Sprache brachte. Mir blieb nichts anderes übrig, als alle unter den Tisch zu trinken.
    Als die Gäste beleidigt heimgegangen waren, wollte ich zum Trost mit meinem Mann schlafen. Er war viel zu müde, und ich mußte bei meinen stillen Bildern Zuflucht suchen.

    Seit ich selbst zu malen versuche, bewundere ich die Trompe-Poeil-Technik, bei der dem Betrachter alles mögliche als zum Greifen nah vorgespiegelt wird. Auf einer gemalten Pinnwand sind rötliche Lederbänder mit Messingknöpfen befestigt, um vielbenützte Gegenstände festzuklemmen. Man meint, die kugelige Taschenuhr abnehmen, die struppige Gänsefeder herausziehen zu können. Auch das Petschaft aus Ebenholz, der getigerte Hornkamm, Federmesser, Briefe mit aufgebrochenem rotem oder schwarzem Siegel und zerfledderte Broschüren stecken so lose und griffbereit zwischen den Riemen, als würden sie ständig benutzt und wieder zurückgetan. Unter diesen Utensilien befindet sich nicht zuletzt ein Schlüssel, wobei sich sofort die Frage stellt, warum er so offen zugänglich aufbewahrt wird.
    Übrigens hatten weder Lucie noch Silvia Interesse an meinen Hinterglasbildern gezeigt. Der einzige, der sie wohlwollend betrachtete, war Udo. Ohne seine Schürzenjäger-Attitüde hätte ich ihn ganz gut leiden können. Er war witzig und intelligent; er mußte irgendein hohes Tier sein, denn er verdiente ein Vermögen. Silvia hatte alles, was ich nicht hatte: eine Putzfrau, ein solides Auto (keine Schrottkarre wie ich), schicke Klamotten, eine große, erstklassig renovierte Villa und reichlich Bares im Handtäschchen. Immerhin war sie großzügig, wenn es darum ging, die Kleider ihrer Töchter an Lara weiterzugeben. Ich selbst hatte für den Sommerball des Tennisklubs ein Abendkleid von ihr geliehen, das sie nicht mehr zurückhaben wollte; an den Hüften ist es mir viel zu weit. Und im übrigen konnte ich es mir mit Silvia auch deswegen nicht verderben, weil sie wiederholt versprach, daß Reinhard (wenn es endlich soweit wäre) die neue Reithalle samt Klubhaus für ihren Verein bauen sollte.
    Vor ihrer Ehe war Silvia Einrichtungsfachberaterin für Edelküchen. Nicht daß sie deswegen eine leidenschaftliche Köchin geworden wäre, aber immerhin glänzt es bei ihr vor lauter Hightech. Kaum war sie verheiratet, hängte sie ihren Job an den Nagel und ließ es sich, von kurzen Anfällen leidenschaftlicher Mutterliebe unterbrochen, wohl sein. Ein Fläschchen Sekt zum Frühstück hatte ihr der Arzt verordnet, zum Gaul hatte angeblich ich geraten, an der Liebe zum Reitlehrer war Udo schuld, der sie so sträflich vernachlässigte.
    Wenn mir Silvia ein derartiger Dorn im Auge ist, so verbirgt sich dahinter wohl auch ein wenig Neid und Eifersucht. In ihrem früheren Leben als Küchenberaterin hatte sie die Bekanntschaft mit Millimeterpapier gemacht, weswegen sie sich dem Architektenberuf verbunden fühlte; doch Reinhard mied nach Möglichkeit ihre Gegenwart. Ohnedies machte er in Schickimicki-Kreisen keine gute Figur und wußte das selbst. Um so mehr mußte ich anerkennen, daß er sich bei den Tennissportlern abrackerte, nur um bekannt zu werden, obgleich ich seinem familiären Altruismus manchmal nicht ganz traute. Silvias Mann Udo spielte ebenfalls Tennis, an jenem mißratenen Abend hatte er sich mit Reinhard für ein Spiel verabredet und später wegen Herzbeschwerden wieder abgesagt.
    Ja, die Reichen betreiben meist einen elitären Sport, da ist mir Lucie lieber, die sicherlich nicht arm ist, aber weder Golf spielt noch segelt. Mit vier Kindern war sie ausgelastet, dachte ich.
    Es überraschte mich daher, als sie von ihrem Plan sprach, sobald Evchen in den Kindergarten komme, wieder mit halbem Deputat als Lehrerin zu arbeiten.
    »Sieh mal, Anne«, sagte sie, »ich habe nicht jahrelang studiert, um im Haushalt zu versauern.«
    »Könnte ich das von mir doch behaupten«, sagte ich
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