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Rettet unser Geld

Rettet unser Geld

Titel: Rettet unser Geld
Autoren: Hans-Olaf Henkel
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sein.

Nachwort
    Europa muss sich entscheiden
    Wenn es richtig ist, dass eine Währung die Leistungsfähigkeit ihres Landes widerspiegelt, dann muss zugleich mit der Frage, wie unsere zukünftige Gemeinschaftswährung aussehen soll, jene andere beantwortet werden, wie unsere zukünftige Gemeinschaft aussehen soll. Mit anderen Worten: Wie muss das gemeinschaftliche Europa konzipiert sein, damit sich die beiden Euro-Gruppen positiv auf die Beziehungen der europäischen Nationen auswirken und zugleich erfolgreich auf dem Markt der internationalen Währungen bestehen?
    Das Konzept »Europa« war von Anfang an mit zwei unterschiedlichen Zielrichtungen verknüpft, die als »Vertiefung« und »Erweiterung« bezeichnet wurden: Erstere meinte die Intensivierung der Beziehungen, die auf allmähliche Angleichung gerichtet ist, wie man sie von anderen Staatenbündnissen kennt, bei denen die Gemeinsamkeiten der Staaten deren Unterschiede überwiegen. »Erweiterung« dagegen zielte schlicht auf eine Vergrößerung, also auf eine numerische Zunahme, die per se nicht mit sukzessiver Anpassung verknüpft ist, jedoch die Handels- und Kulturbeziehungen untereinander fördert.
    Im Rückblick fällt mir auf, dass die europäischen Politiker beide Dimensionen gleichzeitig im Auge behielten und im Munde führten, sich aber über das Entscheidende nicht im Klaren waren: Wenn man einen Politiker, gleich welcher Couleur,
heute fragt, ob die EU zukünftig eher vertieft oder erweitert werden soll, setzt er vermutlich eine politisch korrekte Miene auf und sagt: »Selbstverständlich beides.« Nach kurzem Nachdenken wird er hinzufügen, dass »offensichtlich die Vertiefung die Erweiterung voraussetzt, und dass es das eine nicht ohne das andere geben kann«.
    Leider sitzt unser Politiker hier einem Denkfehler auf: Zwischen »Vertiefung« und »Erweiterung« besteht keine automatische Verbindung, im Gegenteil: Nehmen wir eine Wohnanlage, bei der immer neue Einheiten entstehen und immer neue Familien einziehen: Ohne Zweifel bringt diese Erweiterung der Wohngemeinschaft Vorteile, man trifft vielleicht interessante Leute, kann gemeinsame Probleme gemeinsam lösen. Doch käme wohl keiner auf die Idee, daraus eine automatische Vertiefung und Intensivierung der Beziehungen untereinander abzuleiten. Und mit dem Vorschlag, den Beitrag in die gemeinsame Kasse alljährlich zu erhöhen, würde man sich in der Anlage gewiss keine Freunde machen - eine solche Vertiefung dürfte sogar zum Auszug mancher Bewohner führen. Würde allerdings beschlossen, dass zukünftig die Hausgemeinschaft für die Schulden jedes einzelnen Mitbewohners aufkommen müsste, würden vermutlich die meisten ausziehen, und zwar schleunigst.
    Die unsinnige Verknüpfung der beiden Vorstellungen Erweiterung und Vertiefung, die als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, bildete übrigens den Hintergrund des Lissabon-Vertrages, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat. Nötig geworden war er, weil die Entscheidungsprozesse der 27 Mitgliedsstaaten sich immer komplizierter gestaltet hatten - hätte die Gemeinschaft nur aus sechs Ländern bestanden, wäre es relativ einfach gewesen, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, wie es bei der EWG der Fall gewesen ist. Doch mit 27 Ländern war die
Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass mindestens eines sich querlegt und das ganze Projekt zum Stillstand bringt.
    So kam man in Lissabon zur Einführung des Mehrheitsbeschlusses. Das war vernünftig - aber vor lauter Begeisterung über diese »Demokratisierung« der EU übersah man einen entscheidenden Punkt: Man hatte erfolgreich erweitert, ohne ebenso erfolgreich zu vertiefen. Wie sich spätestens bei der Griechenlandkrise zeigte, waren die Bedingungen der Gemeinschaft, die in Maastricht festgelegt worden waren, dort gar nicht angekommen. Griechenland hatte sich in die Gemeinschaft aufnehmen lassen, ohne deren Vertragsbedingungen zu verinnerlichen. In Brüssel war man davon ausgegangen, dies geschehe ganz von selbst, weshalb man auch der Frage der Sanktionen keine gesteigerte Aufmerksamkeit widmete - man tut es bis heute nicht. Aber die Verinnerlichung der Vertragsmoral geschah nicht von selbst, sie blieb aus - übrigens nicht nur in Griechenland -, und keiner wollte es bemerken. Bis die Katastrophe eingetreten war.
    Man hatte all die schönen Bedingungen von den Konvergenzkriterien bis zur No-Bail-out -Klausel aufgestellt, aber dafür, dass sie auch eingehalten wurden, hat man nicht gesorgt. Durch
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