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Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Titel: Rescue me - Ganz nah am Abgrund
Autoren: Sabine Koch
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hatte der Zwerg was an den Ohren, denn er reagierte gar nicht. Lag nur so da, blutete vor sich hin und schien sich in sein Schicksal ergeben zu haben. Ich musterte den am Boden Liegenden. Klein war er, schlank, fast schon schmächtig. Trug ein einfaches grünes Shirt, Jeans, grüne Chucks. War höchstens sechzehn. Ich glaubte, ihn aus der Schule her zu kennen. Rennen konnte er ja ganz gut, aber kämpfen bestimmt nicht. Hätten die ihn erwischt, wäre es übel für ihn ausgegangen.
    Gleichgültig zuckte ich mit den Achseln. Na und? Konnte mir doch egal sein. Was ging mich dieser Knirps an? Gar nichts! Ich zog die Schachtel Zigaretten aus dem Mantel und schob mir eine Kippe in den Mundwinkel. Mein Feuerzeug spuckte eine kleine Flamme, genüsslich sog ich den ersten Rauch ein. Dann klopfte ich gegen die Manteltasche. Das kleine Tütchen, welches ich von Carlos erworben hatte, war noch da. Gut. Dann konnte ich ja jetzt gehen.
    Ich hatte mich schon zwei Schritte entfernt, da ließ mich leises Aufstöhnen wieder innehalten. War der Kleine etwa doch stärker verletzt, als es den Anschein hatte?
    Ganz gegen meine sonstige Sieh-selber-zu-wie-du-damit-fertig-wirst-Mentalität hockte ich mich neben den Jungen und stupste ihn vorsichtig an. „Ist alles in Ordnung? Du kannst aufstehen, die beiden sind weg.“
    Endlich zeigte der Knirps eine Reaktion. Er stöhnte, etwas lauter diesmal, zog den Arm vom Gesicht und starrte mich verblüfft aus himmelblauen Augen an. „Weg? Wieso …?“
    Dann schien er mich zu erkennen, ich sah, wie er erst erschrak und dann zurückzuckte. „Oh. Tyler. Du bist das.“ Mühsam rappelte er sich hoch. Dichte schwarze Locken klebten an seinem Kopf. Blut rann über sein Kinn, vermischte sich mit dem Schweiß, der über sein Gesicht gelaufen war.
    Ich sah genauer hin. Jetzt erst, auf den zweiten Blick, erkannte auch ich mein Gegenüber. Ich erhob mich, trat zwei Schritte zurück. „Ryan“, stellte ich fest. Mehr sagte ich nicht. Zog nur stumm an meiner Kippe. Pustete den Rauch in die Luft. Ließ mir nicht anmerken, wie sehr mich diese unerwartete Begegnung durcheinanderbrachte.
    „Kein Wunder, dass die beiden abgehauen sind“, murmelte Ryan, zuckte zusammen und tastete vorsichtig nach seinem Kinn. Als er an den Fingerspitzen Blut sah, wurde er blass.
    „Du siehst furchtbar aus.“ Ich kramte ein nicht mehr ganz so sauberes Papiertaschentuch aus den Tiefen meines Ledermantels und hielt es ihm hin. „Du solltest sehen, dass du nach Hause kommst.“
    Ryan nahm es, wobei er krampfhaft vermied, mich anzusehen, und tupfte sich damit im Gesicht herum.
    „Danke. Mein Rad … es liegt noch vor der Schule.“ Damit ließ er mich stehen und trottete langsam den Weg zurück, den er eben noch mit Vollgas entlanggelaufen war.
    Ich sah ihm nach. „Warte“, rief ich, bevor ich wusste, was ich da tat. „Ich komme ein Stück mit, wer weiß, ob die beiden Idioten nicht auf dich warten.“
    Schweigend legten wir den Weg bis zur Schule zurück. Ryan warf mir hin und wieder befremdliche Blicke zu, so als könne er das Verhalten seines ehemals besten Freundes nicht einordnen.
    Ich wusste selber nicht, was ich davon halten sollte.
    Normalerweise würde ich mich niemals in den Ärger anderer einmischen. Hatte ich auch diesmal nicht getan, die beiden Arschlöcher hatten mich gesehen und sofort auf dem Hacken kehrt gemacht. Nicht mal in meine Nähe hatten sie sich getraut, sondern waren davon gerannt, als sei Satan persönlich hinter ihnen her gewesen. Ganz schön praktisch, mein schlechter Ruf. Wahrscheinlich glaubten sie, ich würde sie um Mitternacht auf dem Friedhof opfern und ihr Blut trinken, wenn ich sie nur erwischen könnte. Ich grinste verächtlich. Was für Schisser!
    „Seit wann hast du diese Spackos auf der Pelle?“, wollte ich wissen und schnippte den Stummel fort.
    „Autsch!“ Ryan zuckte vorsichtig mit den Schultern. „Seit ungefähr vier Wochen versuchen sie, mich zu erwischen.“
    „Und du lässt dir das gefallen?“
    „Was soll ich machen?“ Ryan lachte spöttisch. „Seh ich so aus, als hätte ich eine Chance gegen die? Einen Bodyguard kann ich mir leider nicht leisten. Du kennst doch diese beiden Arschlöcher. Jeder ist mal an der Reihe. Jeder, der kleiner ist und so dumm, sich erwischen zu lassen. Bislang hatte ich bloß Glück.“
    Ich schwieg. Was sollte ich dazu sagen? Früher hätte ich Ryan beschützt. Hätte jeden vermöbelt, der ihm zu nahe trat. Beste Freunde taten so etwas.
    Doch
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