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Replay - Das zweite Spiel

Titel: Replay - Das zweite Spiel
Autoren: Ken Grimwood
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tot, und in drei Jahren würde auch Jeff sterben - ohne je gewusst zu haben, warum er gelebt hatte.
    Er streifte durch die Straßen der Stadt, beobachtend, lauschend. Gefährlich wirkende Punkergruppen, zornig auf die Welt … Männer und Frauen in Anzügen, die zu verwirklichen trachteten, was immer sie sich vorgenommen hatten … Kichernde Schwärme von Kindern, übersprudelnd angesichts der Neuheit des Lebens … Jeff beneidete sie alle, sehnte sich nach ihrer Unwissenheit, ihren Erwartungen.
    Mehrere Wochen, nachdem er bei WFYI gekündigt hatte, bekam er einen Anruf von einer der Nachrichtenredakteurinnen, die dort beschäftigt waren, von einer Frau - einem Mädchen eher - namens Lydia Randall. Alle im Sender machten sich Sorgen um ihn, sagte sie, seien geschockt gewesen, als er gekündigt habe, und seien noch stärker beunruhigt gewesen, als sie hörten, dass seine Ehe auseinander gegangen sei. Wie schon Gene Collins sagte Jeff auch ihr, dass es ihm gut gehe. Sie aber ließ nicht locker, wollte ihn unbedingt persönlich sprechen, bestand darauf, sich mit ihm auf einen Drink zu treffen.
    Sie trafen sich am nächsten Nachmittag im Sign of the Dove an der Ecke Third Avenue und Fünfundsechzigste Straße und nahmen einen Tisch an einem der offenen Fenster. Es war Juni in New York, und die Sonne schien. Lydia trug ein schulterfreies weißes Baumwollkleid und einen dazu passenden breitkrempigen Hut, von dem ein rosafarbenes Seidenband herabhing. Sie war eine außergewöhnlich hübsche junge Frau, mit welligem blondem Haar und großen grünen Augen.
    Jeff spulte die Geschichte ab, die er sich zur Erklärung seiner plötzlichen Kündigung zurechtgelegt hatte, die Standardgeschichte vom ausgebrannten Journalisten, kombiniert mit Halbwahrheiten über das ›Glück‹, das er kürzlich mit seinen Investitionen gehabt habe. Lydja nickte verständnisvoll, schien seine Erklärungen unbesehen zu glauben. Was seine Ehe angehe, erklärte er ihr, damit sei es seit langem aus gewesen - keine erwähnenswerten Probleme, bloß ein Fall von zwei Menschen, die sich allmählich auseinander gelebt hätten.
    Lydia hörte aufmerksam zu. Sie bestellte noch einen Drink, dann begann sie von sich zu erzählen. Sie sei dreiundzwanzig und unmittelbar nach dem Examen von der Universität in Illinois nach New York gekommen, lebe mit ihrem Freund Matthew zusammen, den sie auf dem College kennen gelernt habe. Er wolle unbedingt heiraten, sie aber sei sich nicht mehr so sicher. Sie fühle sich ›eingeengt‹, brauche ›Freiraum‹, wolle neue Freunde kennen lernen und all die Abenteuer erleben, die sie in ihrer Jugend in einer Kleinstadt im Mittelwesten versäumt habe. Sie und Matthew seien nicht mehr die gleichen Menschen, die sie früher einmal gewesen seien, sagte Lydia; sie habe das Gefühl, ihm entwachsen zu sein.
    Jeff ließ sie sich aussprechen, hörte sich all die abgedroschenen Kümmernisse und Sehnsüchte der Jugend an, die für sie so überwältigend neu und unendlich wichtig waren. Ihr fehlte der nötige Weitblick, um zu erkennen, wie durchschnittlich ihre Geschichte in jeder Beziehung war, auch wenn sie es vielleicht ahnte, da sie schließlich ihrem dringenden Wunsch Ausdruck verlieh, sich aus dem Klischee zu befreien, zu dem ihr Leben geworden sei.
    Er bemitleidete sie, sprach mit ihr eine Stunde lang oder länger über das Leben, die Liebe, die Unabhängigkeit … Sagte ihr, sie müsse ihre eigenen Entscheidungen treffen, müsse lernen, etwas zu riskieren, sagte all die nahe liegenden und notwendigen Dinge, die man jemandem sagen musste, der zum ersten Mal in seinem Leben eine existenzielle Krise durchlebte.
    Ein Windstoß vom offenen Fenster brachte ihr Haar durcheinander, wehte ihr das Hutband ins Gesicht. Als Lydia es beiseite streifte, entdeckte Jeff etwas unerklärlich Anrührendes in dieser mädchenhaften Geste. In ihrem Gesicht sah er plötzlich ein Spiegelbild Judy Gordons und Lindas, als sie ihm die Gänseblümchen gebracht hatte: das leuchtende Versprechen unausgereifter, noch gestaltloser Träume.
    Sie tranken ihre Drinks aus, und er begleitete sie zu einem Taxi. Als sie einstieg, blickte sie zu ihm auf und sagte mit dem ganzen Optimismus und im Glauben an die scheinbar niemals endende Jugend: »Ich glaube, es wird alles gut. Ich meine, wir haben eine Menge Zeit, um es zu schaffen. Wir haben so viel Zeit.«
    Jeff kannte diese Illusion nur allzu gut. Er schenkte der jungen Frau ein halbherziges Lächeln und sah sie
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