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Reisen im Skriptorium

Reisen im Skriptorium

Titel: Reisen im Skriptorium
Autoren: Paul Auster
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Aufenthalt an diesem Ort betrifft, tappt Mr.   Blank daher immer noch genau so im Dunkeln wie vor Annas Auftritt. Fürs Erste bleibt er auf der Kante des schmalen Bettes sitzen; die Hände gespreizt auf den Knien, den Kopf gesenkt, starrt er den Fußboden an, doch bald schon, wenn er spürt, dass seine Willenskraft dafür ausreicht, wird er sich vom Bett erheben und an den Schreibtisch gehen, um sich die Fotografien anzusehen (falls er den Mut aufbringt, sich diesen Bildern aufs Neue zu stellen) und die Lektüre des Typoskripts über den Mann fortzusetzen, der in dem Raum in Ultima gefangen ist. Fürs Erste jedoch sitzt er auf dem Bett und verzehrt sich nach Anna, schmachtet nach ihrer Nähe, schmachtet danach, sie in die Arme zu nehmen und festzuhalten.
    Jetzt ist er wieder aufgestanden. Er versucht an den Schreibtisch zu schlurfen, vergisst aber, dass er keine Pantoffeln mehr trägt, und die Gummisohle seines linken Tennisschuhs bleibt so abrupt und unvorgesehen auf dem Holzfußboden kleben, dass Mr.   Blank aus dem Gleichgewicht gerät und beinahe zu Fall kommt. Verdammt, sagt er, diese verdammten Scheißdinger. Er würde zu gern die Tennisschuhe aus- und die Pantoffeln wieder anziehen, aber die Pantoffeln sind schwarz, und wenn er sie anzöge, wäre er nicht mehr ganz in Weiß gekleidet, und genau darum hatte Anna ihn ausdrücklich gebeten – auf Geheiß eines gewissen Peter Stillman junior, wer auch immer das sein mochte.
    Mr.   Blank verzichtet daher auf das Schlurfen, das er sich in den Pantoffeln angewöhnt hat, und die Bewegungen, mit denen er nun zum Schreibtisch geht, könnte man fast als normales Gehen bezeichnen. Es ist nicht ganz das forsche Abrollen von der Ferse zu den Zehen, wie man es von jungen und vitalen Menschen kennt, sondern eher ein langsames, schwerfälliges Schreiten: Mr.   Blank hebt einen Fuß ein wenig vom Boden ab, stößt das mit diesem Fuß verbundene Bein etwa fünfzehn Zentimeter nach vorn und setzt dann die Sohle, Fersen und Fußspitze auf einmal, auf den Boden. Es folgt eine kleine Pause, dann wiederholt er die Prozedur mit dem anderen Fuß. Das mag kein schöner Anblick sein, erfüllt aber seinen Zweck, und so erreicht er binnen kurzem den Schreibtisch.
    Der Stuhl ist unter den Tisch geschoben, und um sich setzen zu können, muss Mr.   Blank ihn herausziehen. Dabei kommt er nun endlich dahinter, dass der Stuhl über Rollen verfügt, denn statt wie erwartet geräuschvoll über den Boden zu scharren, lässt er sich einfach und nahezu ohne jede Mühe unter dem Tisch hervorholen. Mr.   Blank nimmt Platz, verwundert, dass er diese Eigenschaft bei seinen früheren Besuchen am Schreibtisch hat übersehen können. Er stemmt die Füße auf den Boden, stößt sich leicht ab, und schon saust er gut einen Meter nach hinten. Er hält das für eine bedeutsame Entdeckung, denn so angenehm das Schaukeln und Rotieren auch sein mag, ist doch die Tatsache, dasssich der Stuhl im Raum umherbewegen lässt, potentiell von großem therapeutischem Wert – zum Beispiel für den Fall, dass seine Beine einmal besonders müde sind, oder wenn ihn mal wieder ein Schwindelgefühl überkommt. Statt dann aufstehen und gehen zu müssen, wird er in der Lage sein, sich auf dem Stuhl sitzend von einer Stelle zur anderen zu bewegen und auf diese Weise seine Kräfte für dringendere Angelegenheiten aufzusparen. Dieser Gedanke tröstet ihn, doch als er sich mit dem Stuhl langsam wieder auf den Schreibtisch zuschiebt, kehren plötzlich die vernichtenden Schuldgefühle zurück, die sich, solange Anna da gewesen war, größtenteils verloren hatten, und als er den Schreibtisch erreicht hat, begreift er, dass eben dieser Schreibtisch für seine bedrückenden Gedanken verantwortlich ist – vielleicht nicht der Schreibtisch als solcher, aber die Fotos und Papiere, die darauf liegen und zweifellos die Antwort auf die Frage enthalten, die ihn nicht loslässt. Sie sind die Quelle seiner Pein, und wenn es auch keine Mühe kosten würde, zum Bett zurückzukehren und sie zu ignorieren, drängt ihn doch alles, seine Forschungen fortzusetzen, mögen sie auch noch so quälend und schmerzlich sein.
    Er sieht nach unten und erblickt einen Notizblock und einen Kugelschreiber   – Gegenstände, die, soweit er sich erinnert, bei seinem letzten Besuch am Schreibtisch nicht dort gelegen haben. Was soll’s, sagt er sich, und ohne weiter darüber nachzudenken nimmt er den Stiftin die Rechte und schlägt mit der Linken den
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