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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Stangl
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können. Er stieg unter die Dusche, Pre würde gleich von der Arbeit heimkommen, ins Badezimmer schauen, ein Hallo zu ihm hinrufen, nichts fragen, nichts erzählen, unter ihrem beiläufigen Blick würde er gleich wieder aufhören sich nackt zu fühlen, er würde sich schnell abtrocknen und anziehen, ganz gleich, was, Zeug für daheim, für Blicke, die keine Blicke sind, etwas Bequemes, er würde erwachsen sein, das heißt alt, das heißt tot, das heißt er selbst, trauriges Fleisch.
    Er stellte sich (sein Kopf unter dem Wasserstrahl, die Augen geschlossen) vor, jemand wäre ihm gefolgt. Er hätte vergessen, die Wohnungstür hinter sich zu schließen (oder hätte sie, in einer seltsamen unabsichtlichen Absicht, offen stehen gelassen), jemand wäre ihm gefolgt, ein junger Mann mit eckigen Schritten, nein, es sind immer zwei oder eine ganze Gruppe, sie würden, ohne dass er es überhaupt merkte, in die Wohnung treten (du unter der Dusche) und sogleich wäre alles umgestoßen, die Wohnung besetzt, sein ganzes Leben von ihm abgerissen, dieses Leben, das er ohne sein Zutun (so denkst du, abwechselnd erschreckt und zufrieden) seit Jahrzehnten lebt. Dieser Moment in deinen Träumen, wenn die Wände sich öffnen. Trauriges, zitterndes Fleisch, kein Weg führt zu deinen Kleidern, die Bücher starren fremd aus den Regalen, die wundersam nichtssagenden fast weißen Gemälde an den weißen Wänden bekommen plötzlich eine Bedeutung, etwas Widerwärtiges, jede Bedeutung ist etwas Widerwärtiges. Du würdest die Schritte hören, den Atem anhalten, selbst gleich bedeutungsvoll dastehen; dich schämen für deine große Wohnung, deine Art zu leben, deine rosige Haut, den Schlag, den beiläufigen Schlag erwarten. Er stellte sich die Männer, die Gruppe von Männern vor: Kindergesichter mit schiefen Mündern, kurzgeschnittenes Haar, gegeltes Haar, solariumbraune Gesichter, workoutverarbeitete Körper, schwere Schuhe, modische Hosen, Jacken, Sweatshirts, alle unterschiedlich, die alle zusammen doch wie eine Uniform wirken, die Dream Power 4 U Enhancement Force oder die xxx - Enforcement Troup oder die Freiheitliche Jugend oder eher sonst jemand aus der nahen Zukunft, den er nicht kennenlernen möchte, aber wen möchte er schon noch kennenlernen.
    Hast du nicht in den letzten Jahren ab und zu von der Vernichtung geträumt, einer großen allgemeinen Umwälzung und der Zerstörung aller Ordnung, wie du sie dir vor Jahrzehnten (anders, fast ganz anders) herbeigewünscht hast: dann sahst du die Wohnung mit aus den Angeln gerissenen Türen und die jungen Männer, die Gruppen von jungen Männern (so mussten deinen Eltern vor vierzig Jahren deine Freunde und du erscheinen, ahnst du, greisenhaft, denkst du, ahnst du es) staunend und etwas verächtlich an den Bücherwänden in deinem Zimmer, im Zimmer Pres, in eurem Wohnzimmer vorbeigehen, während im Innern der fünf- oder sechstausend Bücher, die niemand je mehr aufschlagen wird, die Sätze langsam zerstäuben, eine Hand fegt die Bücher aus den Regalen, die Bücher, die CD s liegen in Haufen auf dem Boden, zwischen herausgerissenen Parketten, Schaumstoff, Steinen und Scherben, wenn nicht jetzt, dann in Kürze, wenn nicht in Kürze, dann nach deiner Zeit, nach Pres und deiner Zeit.
    Das Wasser rann über seine Haut, es gab diesen Moment, das warme Wasser, alles war gut, weil sein Denken im Wasser zerrann und seine Haut jetzt die Grenze der Welt formte.
    Zu diesem Zeitpunkt befand sich Pre unten am Hauseingang, sie stieg die paar Stufen zum Aufzug hoch, drückte auf den Liftknopf, niemand andres befand sich im Treppenhaus. Er drehte den Duschstrahl ab, den Kopf in den Nacken gelegt. Gleich hörte er den Schlüssel, der sich in der Wohnungstür drehte, und schämte sich ein wenig seiner leichten Erektion.
    Der Mann im Flur, den sie anlächeln und grüßen möchte, dreht sich nicht nach ihr um, während er zum Tor geht; er hat recht, denkt sie, sie kennt ihn nicht und möchte ihn nur als Stellvertreter anlächeln und grüßen, mit einer falschen Stellvertreterfreundlichkeit; er hält ihr nicht die Tür auf, er hat es eilig oder ist in Gedanken woanders, sie möchte ihn, den Stellvertreter einer Minderheit, als Stellvertreterin einer imaginären Bevölkerung ihres Landes anlächeln. Sie fragt sich, wer er sein mag, es wohnt kein Afrikaner im Haus, und er sieht nicht so aus wie ein Prospekteverteiler, da steht auch kein Prospekteverteilerhandwagen der Firma Feibra und kein Prospekteverteilerfahrrad
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