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Rattentanz

Titel: Rattentanz
Autoren: Michael Tietz
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die Schweizer Mentalität, deren prinzipiellen Egoismus und die Deutschfeindlichkeit aller Schweizer orakelhaft darlegte (Sigg war vor sechs Monaten von seiner damaligen Firma in Schaffhausen fristlos wegen Arbeitsbummelei gekündigt worden), während Nussberger dazu nickte und Bubi Faust eine Probeaufnahme der Rauchsäule machte, der sie sich näherten, fiel Jürgen Mettmüller beim Blick zurück über sein Dorf eine weitere, viel zu tief heranrasende Maschine auf. Sie war vielleicht noch zwei Kilometer entfernt, aber wer seit Jahren mit dem Anblick kreisender und schließlich Richtung Zürich abdrehender Maschinen lebt, der sieht, wenn etwas nicht stimmt. Und hier stimmte etwas nicht! Die Maschine schoss viel zu schnell herab! Die Lichtreflexionen wurden nicht, wie bei einer sich normal bewegenden Maschine, langsam heller, erreichten einen gleißenden Höhepunkt, um anschließend langsam wieder zu verlöschen. Die Spiegelungen flackerten wild, wie ein knisterndes Lagerfeuer, als ob der Pilot Mühe hätte, sein Gefährt auf Kurs zu halten. Wenn es denn überhaupt noch einen Piloten gab.
    Ohne den Blick von der offensichtlich abstürzenden Maschine zu lassen, stieß Mettmüller dem neben ihm sitzenden Nussberger den Ellenbogen in die Rippen. Dessen Knurren beantwortete er mit einem stummen Nicken nach Nordosten. Eugen Nussberger blinzelte. »Hab meine Brille vergessen«, brummte er und beendete den Satz mit produktivem Räuspern.
    »Da! Da hinten, das Flugzeug!«
    Jetzt wurden auch Bubi und Uwe Sigg aufmerksam. Im Gegensatz zu Nussberger erkannten sie sofort was Mettmüller meinte.
    »Oh Scheiße! Die kommt direkt auf uns zu!« Bubi vergaß seine Kamera. Einen Moment starrte er mit offenem Mund auf das Flugzeug, dann hämmerte er wie wild mit beiden Fäusten gegen das Fahrerhaus.
    »Vater! Vater, bleib stehen!«
    »Was ist denn?« Ohne vom Gas zu gehen, öffnete Faust das schmale Schiebefenster zur Ladepritsche.
    »Da hinten, Vater! Da kommt noch ein Flugzeug runter!« Bubi ges tikulierte zu dem Airbus hin, die Aufregung machte seinen Mund trocken. Er hatte Angst.
    Faust fuhr rechts ran. Er stieg aus und was er sah, versorgte ihn zeitgleich mit einem Kloß im Hals, feuchten Händen und einem Kribbeln im Bauch, welches keine Frau der Welt jemals hätte auslösen können. Die von Mettmüller entdeckte Maschine raste direkt auf sie zu und es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis sie entweder über oder aber in ihre Köpfe rasen musste!
    Aus dem Dorf folgten zwei Fahrzeuge, ebenfalls mit potenziellen Helfern beladen. Sie stoppten auf Fausts Winken hinter dessen Pickup. Aus einem der Wagen sprang Christian Stadler auf die Straße. Stadler, dreißigjähriger Elektriker und klapperdürr, schob seinen Hut in den Nacken und stemmte in Wildwest-Manier die Hände in beide Hüften. »Gottverfluchter Mist!«, brüllte er. »Die Kiste wird uns allen gleich die Ärsche aufreißen!«
    »Wir sollten machen, dass wir hier wegkommen!«
    »Dazu dürfte es zu spät sein.« Nussberger ließ, von der auf ihn zurasenden Maschine paralysiert, zum ersten Mal seit Jahren eine Zigarre im Mundwinkel ausgehen. Er starrte dem Airbus entgegen, in dem Eckard Assauer neben Tochter und Enkel saß. Nussberger und die anderen konnten nichts tun, weder verhindern noch fliehen. Sie konnten nur noch hoffen.
    Die in Berlin gestartete Maschine, in der Eckard Assauer saß, befand sich im Landeanflug auf Zürich. Neben der Crew befanden sich achtundachtzig Passagiere an Bord der nur zur Hälfte ausgelasteten Maschine. Den Männern im Cockpit war schnell klar, dass diese Situation sie und ihr einstudiertes Wissen überforderte. Bei Systemausfällen existierten im Hintergrund laufende Sicherheitsprogramme, die im Ernstfall automatisch zum Einsatz kamen. Außerdem gab es die Verbindung zum Tower, dessen Anweisungen folgend man sich zum nächstgelegenen Flughafen lotsen lassen konnte. All diese eingeübten Verhaltensweisen gingen allerdings davon aus, dass die Kommunikation mit einer Bodenstation möglich war und dass die Computersysteme wenigstens teilweise einsatzbereit waren. Aber um Punkt 07:00 Uhr wurde aus einem der meistverkauften Modelle der Airbusflotte ein schwankendes Segelflugzeug, welches sich kaum am Himmel halten ließ und in rasendem Tempo dem Boden näher kam.
    Der Flugkapitän hatte den Passagieren die Situation erklären lassen und sie von seinem Vorhaben unterrichtet, segelnd den Züricher Flugha fen zu erreichen. Wie unrealistisch
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