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Rattentanz

Titel: Rattentanz
Autoren: Michael Tietz
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waren auch beides. Einem ungeschriebenen Routenplan folgend sammelten sie sich hinter der kleinen Baumgruppe bei Frieder Faust, Mettmüller und den anderen.
    Bubi, auf der Jagd nach dem perfekten Bild, hatte die anwachsen de Gruppe verlassen. Hinter Bodenwellen und Sträuchern vor der Hitze schutzsuchend, hoffte er, noch näher an das Inferno heranzukommen.
    »Das muss die vierte oder fünfte Maschine sein, die hier in der Umgebung vom Himmel gefallen ist. Und wie es aussieht«, der Neue mus terte den Himmel, »wie es aussieht, hat irgendwer oder irgendwas ganze Arbeit geleistet.« Denn der Himmel war leer.
    Aus einem Kleinbus stieg eine Handvoll Menschen. Es waren Mitarbeiter der Bonndorfer Fleischfabrik. Dort hatten sie alles stehen und liegen gelassen. Unterwegs hatten sie Martin Kiefer aufgelesen. Martin Kiefer war Eva Segers erster Mann. Im Gegensatz zum größten Teil seiner Umwelt war er zutiefst davon überzeugt, dass er das war, was gemeinhin als toller Hecht bezeichnet wurde. Die dunklen Haare hielt er kurz geschoren und er achtete penibel auf die korrekte Länge seines Dreitagebartes, der ihm etwas Abenteuerliches gab, wie er fand. Außerdem kaschierten die Stoppeln sein wachsendes Doppelkinn. Dank seines Vaters und dessen florierender Offsetdruckerei war Geld kein Thema. Kiefer war mittelgroß und sein Körper befand sich gerade in einem Übergangsstadium zwischen kräftig und fett.
    Kiefer kam zu Christian Stadler. Etwas abseits spielte der nervös mit seinem Hut.
    »Ganz schöner Mist das.«
    »Kannst du laut sagen.« Die Freunde, sie hatten die Schulbank und ihre Pausenbrote, später dann oft die Zeche und manches Mädchen miteinander geteilt, begrüßten sich und musterten die Umgebung.
    »Wie im Krieg.«
    »Blöder Zufall.«
    »Zufall? Komm, vergiss es! Ein Absturz – meinetwegen. Zwei, wenn wirklich alles saudumm läuft, aber das hier«, Stadlers ausgestreckter Finger zeigte zuerst auf die Trümmer in der Nähe, die Rauchsäule über der Oberen Alp und schließlich auf den erschreckend menschenleeren Himmel, »das hier ist kein Zufall!«
    »Und das ist ja noch nicht alles.« Faust trat heran.
    »Wie, noch nicht alles?«, fragte Kiefer.
    »Habt ihr noch Strom in Bonndorf?« Kiefer schüttelte den Kopf.
    »Und funktionieren eure Telefone, eure Handys?« Kiefer zuckte die Achseln, kramte aber umgehend sein Handy hervor. Er drückte einige Tasten, doch der kleine Kasten ignorierte seine Befehle und lächelte nur milde in sich hinein.
    »Siehst du.« Faust wirkte verzweifelt. In einer der riesigen Taschen seiner schwarzen Zimmermannshose fand er seinen Flachmann, nahm einen tiefen Schluck und schüttelte sich.
    »Du auch?« Christian Stadler winkte ab, Kiefer griff gierig zu.
    »Ich weiß nicht, was hier abgeht«, Faust schraubte, nach einem zweiten Schluck, die Flasche langsam zu, »aber irgendwas läuft hier vollkommen falsch. Flugzeuge stürzen ab, der Strom ist weg, es läuft kein Wasser mehr, Telefone tot – selbst mein Navigationssystem streikt!«
    »Vielleicht Terroristen?«
    »Terroristen?« Stadler zog die Augenbrauen hoch. »Terroristen können ein Flugzeug vom Himmel holen, ein Elektrizitätswerk sprengen oder einen Funkturm kippen, aber so ein umfassendes Chaos?«
    Er schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht.«
    »Vielleicht kommt der Strom ja bald wieder und in den Nachrichten heute Abend wird alles erklärt?« Kiefers Satz klang wie das berühmte Rufen im Wald. »Es könnte doch irgendwie von der Sonne kommen. Sonnenwinde oder so was.«
    »Da steckt irgendeine Regierung dahinter«, sagte Faust, ohne Kiefer zu beachten. »Etwas so Umfassendes – das waren die Amis.«
    »Oder die Chinesen.«
    »Die Russen waren das.«

5
    Vierhundert Tage zuvor bei Hamburg
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    Die beiden besiegelten das Schicksal der Welt. Keiner war sich dessen bewusst, am wenigsten sie selbst.
    Und warum? Dummheit, Schicksal, Leichtsinn, eine Laune des Augenblicks? Langeweile verbunden mit zu vielen technischen Möglichkeiten? Oder Zufall, der stille Kollege Ich-lach-mir-ins-Fäust chen, der im Hintergrund seine Fäden zieht und selbst neugierig auf das Ergebnis wartet? Wenn es darum ging, die Welt zu verändern – er war zur Stelle. Nicht die Weltanschauungen von Terroristen, nicht die hehren Ziele der Tagträumer verändern den Planeten, nein, Gevatter Zufall zieht im Hintergrund die Fäden, spannt mal diesen, mal jenen für seine Pläne ein (überlässt denen anschließend auch gern den Ruhm der Geschichtsschreiber)
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