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Rattentanz

Titel: Rattentanz
Autoren: Michael Tietz
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ihm und flocht aus Wiesenblumen einen Kranz. Sie setzte ihn Thomas auf den Kopf und gab ihrem Freund ei nen Kuss auf die Wange. Dann ließ sie sich auf den Rücken fallen. Der Himmel über ihr war kristallklar.
    »Kannst du dich erinnern, wie es aussah als die Flugzeuge noch flogen?«, fragte sie.
    »Manchmal«, sagte Thomas und legte sich neben sie. »Manchmal kann ich es, dann fällt es mir wieder ein.«
    »Bist du schon einmal geflogen?«, wollte Lea wissen.
    »Ich?! Nein!«, rief Thomas. Der Gedanke, dass er selbst hätte fliegen können, wenn auch in einer anderen Zeit, war ihm noch nie gekommen. »Vögel sollen fliegen«, sagte er.
    »Wenn ich einmal groß bin«, so die Achtjährige, »will ich fliegen. Papa sagt, vielleicht wird irgendwann alles wieder wie früher, so mit Autos und Fernsehen und Telefon. Und Flugzeugen. Ich weiß, dass Papa das machen kann, immerhin ist er Bürgermeister«, sagte sie und klang stolz.
    »Warum hat er es dann noch nicht wieder so gemacht?«, fragte Thomas.
    In ihm lachte Nummer drei: Gute Frage. Sehr gute sogar, hihi. Wet- ten, die Göre ist gleich sprachlos. So, wie der Mann sprachlos war, als er ins Loch fiel und der Strick ihm sein Hälschen zugezogen hat.
    Lass meinen Engel zufrieden!, drohte Nummer zwei.
    »Frag Papa. Er weiß bestimmt, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Der richtige Zeitpunkt ist nämlich wichtig. Sagt er.«
    »War heute der richtige Zeitpunkt für Larissa?«, fragte Thomas.
    »Bestimmt«, sagte Lea mit kindlicher Überzeugung. »Sonst wäre sie mit ihrer Mama nicht weggegangen.«
    Nach dem Gottesdienst auf dem Hardt war Henning Malow nach Süden aufgebrochen. Schon seit Neujahr hatte er diesen Termin geplant. »Dann ist der Gotthardpass hoffentlich frei.« Seinen Traum von Rom hatte er nie aufgegeben, so wohl er sich auch in Wellendingen fühlte. In den Resten der Bonndorfer Bibliothek hatte er ein Wörterbuch Deutsch-Italienisch gefunden. Er büffelte den ganzen langen Winter hindurch die fremde Sprache und Silvia half ihm dabei. Als er vor zwei Tagen begonnen hatte, seine Habseligkeiten zu packen und auf einem Handwagen zu verstauen, standen plötzlich Silvia und Larissa vor ihm und fragten, ob sie mitkommen könnten.
    »Ich war noch nie in Italien«, sagte Silvia.
    »Wenn ihr macht, was ich euch sage, von mir aus«, knurrte Malow und die Sache war abgemacht.
    In diesen Minuten verließen sie Wellendingen. Sie gingen auf der Straße nach Stühlingen aus dem Ort heraus und niemand wusste, ob sie Rom erreichen würden und ob man sich jemals wieder sehen wür de.
    »Ich werde immer bei dir bleiben«, versprach Lea und blickte Thomas ernst in die Augen. Das Leben war schön mit Thomas und seinen Stimmen. Wenn sie ihn nicht unterbrach, wusste sie, würde er später von ihnen erzählen, mit verstellter Stimme. Thomas konnte wunderschöne Geschichten erzählen, auch wenn er behauptete, es seien seine Stimmen, die mit ihr sprachen und sein Mund wäre nur das Werkzeug. Es war schön, hier zu sein und den Blumen beim Wachsen zuzusehen. Es war schön zu leben.
    »Ich bleibe auch bei dir«, sagte Thomas. »Versprochen.«

E N D E

Nachwort
    Ich liebe Nachworte − auch wenn sie rein akustisch immer etwas von Nach ruf haben. Aber in gewisser Weise sind sie das ja auch, ein Nach-Ruf. Das Buch, welches einen über Tage und Wochen hinweg be gleitete, hat sein Ende gefunden, man selbst ist ein wenig traurig darüber. Aber halt – da sind ja noch ein paar Seiten! Seiten, die den Abschied erleichtern und eine abgemilderte Rückkehr in die Realität ermöglichen. Das Buch ruft uns nach. Und vielleicht hat der Autor noch irgendwas zu sagen. So wie ich:
    Mein Buch ist reine Fiktion, dies als kleiner Trost vorweg. So, wie ich es beschrieben habe, wird es (hoffentlich) niemals geschehen. Aber dazu etwas weiter hinten mehr.
    Als ich die ersten Worte zu diesem Buch in meine Computertastatur tippte, hätte ich niemals mit dieser Entwicklung der Geschichte ge rechnet. Zwar hatte ich einen halbwegs spannenden Plot im Kopf und auch den einen oder anderen voll geschriebenen Notizzettel herumliegen, trotzdem entwickelte sich die Story von der ersten Seite an selbst. Charaktere zeigten plötzlich ein ganz anderes Gesicht als ich ihnen zugedacht hatte, andere, nie geplante Personen machten sich von einer Sekunde auf die andere breit und forderten ihr Recht ein, dass von ihnen erzählt wird. Frieder Faust zum Beispiel; ihm hatte ich die Rolle des Bösewichts zugedacht, aber er
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