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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus
Autoren: Evelyn Sanders
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Debatte, entscheidet Rolf sich garantiert für eine Konstruktion aus einzelnen Teakholzbrettern, worin außer Büchern noch drei enggefaltete Tischdecken und notfalls ein halbes Dutzend Weingläser Platz haben – nicht gerechnet die zahllosen Schlingpflanzen, die dieses Möbel im Prospekt so dekorativ machen. Ich suche aber nach Schubladen, verschließbaren Türen sowie nach unsichtbaren Ablagemöglichkeiten für Streichholzschachteln, Matchboxautos und Bügelwäsche.
    Von einem idealen Haus erwartete ich denn auch schalldichte Wände, eine gefederte Treppe, die unseren derzeitigen Verbrauch an Heftpflastern etwas reduzieren würde, ein Kinderzimmer mit den Ausmaßen eines Tennisplatzes und einen Garten mit künstlichem Rasen, den man weder zu sprengen noch zu mähen braucht und der keine ungenießbaren Pflanzen hervorbringen könnte, für die Kleinkinder eine unbegreifliche Vorliebe haben.
    Rolfs Vorstellungen von den eigenen vier Wänden waren natürlich etwas anders. Er träumte von einem schneeweißen Bungalow mit rustikalem Kamin (den ich natürlich würde säubern müssen), einem elfenbeinfarbenen Flügel im Wohnraum (immerhin hatte er es im Klavierunterricht seinerzeit schon bis zu Beethoven-Sonaten gebracht) und einem Garten, in dem hundertjährige Buchen stehen müßten. Vielleicht sollten es auch Birken sein, das weiß ich nicht mehr, auf jeden Fall müßten sie rauschen.
    Nun pflegen speziell in Neubaugebieten keine alten Bäume zu stehen. Etwa vorhandene werden vor Baubeginn entfernt, damit die Bagger Platz haben, und später pflanzt man anderthalb Meter hohe Stämmchen, die aber auch nicht hundert Jahre alt werden, weil sie nach spätestens einem Dutzend Jahren einer Straßenbegradigung oder einem Parkplatz weichen müssen.
    »Am besten sehen wir uns die ganze Sache morgen mal an!« beendete Rolf die noch gar nicht richtig begonnene Debatte und wich damit auch allen weiterführenden Fragen aus. Aber was interessierte es ihn schon, ob ich die täglichen Einkäufe zwei oder fünf Kilometer weit würde heranschleppen müssen, ob es in erreichbarer Nähe so segensreiche Institutionen wie Kindergarten und Schule gab, ob man außer in der hoffentlich vorhandenen Wanne auch noch woanders würde baden können, ob Arzt, Friseur und Feuerwehr am Ort… und wer sollte dieses Haus eigentlich bezahlen???
    »Nicht kaufen, nur mieten«, beruhigte mich Rolf und vertiefte sich in die Wochenendausgabe der Tageszeitung, wobei er der Sonderbeilage »Haus und Garten« eine bisher nie gezeigte Aufmerksamkeit widmete. »Hast du gewußt, daß man Radieschen bis zum Spätherbst ernten kann?«
    Monlingen war damals, also vor etwa zwanzig Jahren, ein kleines Städtchen, das von den Segnungen der Zivilisation noch weitgehend verschont geblieben war. Es gab keine Hochhäuser, keine Schnellstraße, keine Mülldeponie und nicht mal eine Verkehrsampel. Geschäftsleute wohnten über ihren Läden und waren selten ungehalten, wenn man noch nach Ladenschluß angerannt kam, weil kein Brot mehr im Haus war oder man die Butter vergessen hatte. Es gab eine gemütliche Kneipe, deren Wirt die Polizeistunde insofern beachtete, als er die Fensterläden schloß, das Licht abschaltete und auf die meist noch vollbesetzten Tische Kerzen stellte. An die Tür hängte er ein schon etwas abgegriffenes Schild mit der Aufschrift »Geschlossene Gesellschaft«, womit den gesetzlichen Anordnungen Genüge getan war. Der eine ortsansässige Friseur, Schmitz, hatte sein Handwerk erlernt, als die Herren einen militärisch-kurzen Schnitt, die Damen überwiegend Treppchen in die Haare onduliert bekamen, und da er es ablehnte, »dieses ganze chemische Zeugs, wo man nich weiß, was drin ist«, zu benutzen, lief zumindest die ältere Generation Monlingens mit Frisuren von Anno 1936 herum. Die Jüngeren gingen lieber zu Angelo, der eigentlich Arthur hieß, aber zwei Jahre lang in Turin Damenköpfe frisiert hatte und seitdem nur noch gebrochen Deutsch sprach. Außerdem nannte er sich Coiffeur, was nun wesentlich moderner klang als Herrn Schmitz’ ›Damen- und Herren-Salon‹.
    Es gab eine Mangelstube, die eine füllige Matrone namens Adelmarie Köntgen befehligte und wo man neben schrankfertiger Wäsche auch sämtliche Neuigkeiten geliefert bekam. Es gab nichts, was Adelmarie nicht wußte, und der Fama zufolge soll sie sogar einmal einem ratlosen Abgesandten des Jugendamts geholfen haben, den unbekannten Vater von Fräulein Sigrids Baby ausfindig zu machen. Der
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