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Rachelust - Der sechste und letzte Fall für Nora und Tommy

Rachelust - Der sechste und letzte Fall für Nora und Tommy

Titel: Rachelust - Der sechste und letzte Fall für Nora und Tommy
Autoren: Michael Linnemann
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Nora.
    „Stört es Sie, wenn ich mich zu Ihnen setze?“ Seine Stimme klang heiser. Dennoch wies sie einen merkwürdigen Wohlklang auf. Zumindest bildete Nora sich das ein. Sie wischte sich über ihr Gesicht und schüttelte den Kopf. „Nein. Es ist ein freies Land.“
    „Schon, aber manche Menschen möchten in bestimmten Situationen lieber alleine sein. Trifft das nicht auch auf Sie zu?“
    Offenbar konnte der Mann ihr ansehen, dass sie in einer deprimierten Stimmung war.
    „Das ist schon okay. Setzen Sie sich ruhig.“
    „Ganz sicher?“
    „Ja.“
    Während der Fremde um die Bank herumspazierte und sich anschließend niederließ, betrachtete Nora ihn genauer. Sie schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er hatte ein sonnengebräuntes Gesicht, dessen Ausdruck von fröhlicher Natur zeugte. Seine schwarzen Haare waren kurzgeschoren. Die Mundwinkel waren leicht nach oben gezogen. Die Augen wirkten aufgeweckt.
    „Ich habe Sie noch nie hier gesehen“, äußerte er, ehe er sich zurücklehnte und Nora ebenfalls ansah.
    „Ich war erst ein einziges Mal hier. Und das ist schon zwei Jahre her.“
    „Ah, also machen Sie hier Urlaub?“
    „Genau. Und Sie?“
    „Ich wohne hier. Etwa zwei Kilometer weiter südlich.“
    „Nicht gerade der schlechteste Ort zum Leben.“
    „Wohl wahr. Die Seeluft ist sehr gesund. Und mein täglicher Spaziergang hierher hält mich fit.“
    „Sie kommen jeden Tag her?“
    „So ziemlich. Ich habe zu viel Zeit. Meine verstorbene Tante hinterließ mir vor einigen Jahren ein kleines Vermögen. Daraufhin habe ich keinen Gedanken mehr an Arbeit verschwendet. Stattdessen genieße ich das Leben in vollen Zügen.“
    „Das klingt sehr angenehm. Obwohl ich davon überzeugt bin, dass ich das nicht könnte.“
    „Wieso nicht?“
    „Ich könnte nicht jahrelang ohne Arbeit leben. Das weiß ich jetzt mit Sicherheit.“
    Es war ihr Tonfall, der ihn nachhaken ließ: „ Jetzt wissen Sie das? Wie soll ich das verstehen?“
    „Meine Auszeit hat es mir bewiesen. Sie hat es mir eindeutig vor Augen geführt.“ Nora überlegte, ob sie weitere Erklärungen hinzufügen sollte. Ihr Instinkt riet ihr zwar davon ab, doch der Mann blickte sie so interessiert an, dass sie fortfuhr: „Ich arbeite bei der Kripo in Göttingen. Vor einiger Zeit habe ich einen Menschen erschossen. Deshalb dachte ich, meinen Beruf nie wieder ausüben zu können. Aber ich merke, dass ich ihn brauche. Seit knapp zwei Monaten bin ich jetzt außer Dienst. Und schon fehlt mir etwas im Leben. Ich schätze, es ist …“
    „Der Lebenssinn“, fiel der Mann ihr ins Wort. Er verschränkte die Arme und nickte. „Ich weiß genau, was Sie meinen. Anfangs ging es mir ähnlich. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht mehr für meinen Lebensunterhalt gearbeitet habe. Das kam mir falsch vor.“
    Nora schüttelte den Kopf. „Das ist nicht ganz dasselbe Problem.“
    „Nein, aber es läuft auf denselben Punkt hinaus: Die Motivation fehlt.“ Er drehte sich zu ihr. „Darf ich fragen, wie Sie heißen?“
    Nora zögerte. Aus beruflichen Gründen war sie Unbekannten gegenüber eher skeptisch und zurückhaltend eingestellt. Dieser Mann wirkte jedoch nett, aufgeschlossen und kultiviert. Daher sagte sie: „Ich bin Nora.“
    „Mein Name ist Hans. Es freut mich, Sie kennenzulernen.“ Er reichte ihr seine Hand. „Sie scheinen sehr damit zu kämpfen, einen Menschen erschossen zu haben, Nora. Möchten Sie mir davon erzählen? Ich bin ein guter Zuhörer.“
    „Ich weiß nicht, ob das angemessen wäre. Ich kenne Sie gar nicht. Außerdem unterliege ich bei solchen Fällen einer gewissen Schweigepflicht.“
    „Verstehe.“ Hans hob die Achseln. „Ich wollte Ihnen nur anbieten, Ihr Herz ein wenig auszuschütten. Es kam mir so vor, als hätten Sie das nötig. Schließlich sitzen Sie schon eine ganze Weile hier.“
    „Haben Sie mich etwa beobachtet?“
    „Nicht direkt.“
    „Was soll das heißen?“
    „Ich bin seit zwanzig Minuten in der Gegend. Als ich Sie hier sitzen sah, hielt ich mich zunächst zurück. Sie wirkten sehr niedergeschlagen. Ich wollte nicht stören. Aber dann habe ich mir gedacht, dass ich Ihnen eine Hilfe sein könnte, indem ich Ihnen ein offenes Ohr leihe.“
    „Das ist gut gemeint, aber nicht nötig. Ich habe momentan nur eine schlechte Phase. Die ist bald wieder vorbei. Sicherlich geht es Ihnen hin und wieder ähnlich.“
    „Ohne Frage. Jeder Mensch läuft gelegentlich durch ein emotionales Tal. Dann wirkt es so, als hätte sich
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