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Rachel

Rachel

Titel: Rachel
Autoren: Linda Lael Miller
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geschnitten wurde, und jeden Morgen trat der schwergewichtige Bartender, der in seinem ganzen Auftreten eher an einen englischen Butler erinnerte, vor die Tür, um jede leere Flasche und jede Cheroot-Kippe einzusammeln, die vielleicht ein Gast weggeworfen hatte. Manchmal wurde Rachel wütend, wenn sie daran dachte, dass so eine Institution eine Menge Profit abwarf, während die Schule, die Zukunft der Stadt und des ganzen Territoriums, betteln musste. Aber so richtig wütend war sie geworden, als sie an ihrem zweiten Tag in Springwater erfahren hatte, dass Trey Hargreaves, der Mann, der sie und die Schulbücher gerettet hatte, Mitbesitzer des Brimestone war und ihm die Hälfte des Saloons gehörte. Natürlich kam es in der Bar immer wieder zu Streitereien, denn der Brimestone war in weitem Umkreis bekannt und zog jeden Taugenichts von nah und fern an. Der Saloon galt auch als Anlaufstelle für die Cowboys mit ihren Longho rn -Rinderherden, die Staubwolken aufwirbelten und alles niedertrampelten.
    Natürlich war Rachel klar, dass Jammern die Situation nicht ändern würde und dass Ärger und Wut nur ihr selbst
    schadeten. Deshalb entschloss sie sich eines Tages, Mr. Hargreaves und sein Gewerbe ganz einfach vollkommen zu ignorieren. Sie machte zusammen mit Miss June eine Liste der Familien, die Kinder im schulfähigen Alter hatten und die vielleicht bereit waren, diesen Kindern auch tatsächlich eine schulische Ausbildung zu ermöglichen. Das war keineswegs selbstverständlich, denn das Leben im Westen war hart und die Kinder mussten schon früh auf dem Feld oder im Stall mitarbeiten. Auf der Liste standen die Namen von sechs Familien. Sie lieh sich von Jacob ein Pferd, das nicht mehr für den Kutschdienst eingesetzt werden konnte und auf der Station sein Gnadenbrot fraß. Dann machte sie sich ein paar Tage später - trotz Jacobs Bedenken wegen ihrer Sicherheit - auf den Weg, um die einzelnen Familien zu besuchen.
    Die Bellweathers, Tom und Sue, lebten etwa zwei Meilen vom Schulhaus entfernt am Rande einer Lichtung in einer soliden Blockhütte, die sauber und aufgeräumt war. Kathleen, ihre zehnjährige Tochter, war ein lebhaftes, aufgewecktes Kind, einfach und geradeheraus. Rachel mochte Kathleen auf Anhieb.
    Tom war ein schlanker, drahtiger Mann mit freundlichen Augen und blauschwarzen Haaren, die auf indianische Vorfahren hindeuteten, während Sue ziemlich scheu wirkte. Sie schien etwas verwirrt und irritiert zu sein, was sie hinter ihrem Lächeln zu verbergen versuchte. »Ich verstehe nicht, weshalb Kathleen in Ihre Schule kommen soll«, sagte sie zu Rachel, als sie diese nach dem Besuch zur Tür brachte. »Sie kann ein bisschen lesen - das hat Tom ihr mit Hilfe der Bibel beigebracht - und sie wird ja doch eines Tages heiraten und Kinder bekommen.«
    Diese Einstellung war Rachel nicht neu. Sie hatte dieses Argument im Osten oft genug zu hören bekommen, aber die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass meist ein tieferer Grund hinter solchen Vorurteilen steckte. In diesem Fall vermutete sie - wie in vielen anderen Fällen zuvor -, dass es in der Familie früher noch andere Kinder gegeben hatte, einige vielleicht älter als Kathleen, die inzwischen außer Haus waren, oder jüngere, die nicht mehr lebten. Nach dem Verlust eines Kindes, gar nicht zu reden von mehreren Kindern, richteten die Mütter ihren Beschützerinstinkt meist noch stärker auf die verbliebenen Kinder. Rachel zweifelte nicht daran, dass Mrs. Bellweather schlicht und einfach Angst hatte, Kathleen zweimal den Weg vom Haus zur Schule und wieder zurück machen zu lassen. Dafür hatte Rachel im Grunde ihres Herzens auch vollstes Verständnis.
    Sie stand neben ihrem alten Klepper, hielt die Zügel in der Hand und betrachtete mit Zuneigung und Respekt diese ernsthafte Frau, der die Sorge um ihre Tochter ins Gesicht geschrieben stand. »Für Kathleen ist es wichtig, dass sie so viel wie möglich lernt«, sagte Rachel vorsichtig. »Und es ist auch wichtig, dass sie mit anderen Kindern zusammen ist. Vielleicht wäre Mr. Bellweather ja so nett Kathleen morgens zu begleiten - zumindest ein Stück des Weges - und ihr am Nachmittag wieder entgegenzukommen?«
    »Für so etwas haben wir keine Zeit.« Sue Bellweather schüttelte den Kopf, aber es schien nur ein schwacher Protest zu sein. Für einen kurzen Moment zeigte sich in ihren Augen wieder Verwirrung, die sie jedoch schnell überspielte. »Wir sind einfache Farmersleute, Miss English. Wir arbeiten von Sonnenaufgang
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