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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition)
Autoren: Marie Anhofer
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hörte ich dich laut weinen und ich hörte, wie du auf niederträchtigste Weise beschimpft wurdest. Ich packte daraufhin die Kinder wieder ins Auto, fuhr mit ihnen zurück nach Hause und meldete mich in meiner Firma krank. Tage später sahen wir uns und mir fiel dabei dein blau unterlaufenes Auge auf.« Er streichelte mir über die Schulter und nickte dabei mit dem Kopf, was so viel hieß wie: »Ja, ich weiß es.«
    Leugnen war somit zwecklos. Ich konnte Andreas nicht einmal in die Augen sehen, so sehr schämte ich mich vor ihm. Stattdessen saß ich wortkarg da und starrte in mein Glas Wasser. Gedanken überschlugen sich. Das war also der Grund, weshalb er mich von der Schule abholte und mit mir hierher fuhr. Obwohl ich Andreas so sehr mochte, war ich zunächst verunsichert, ob ich ihm erzählen sollte, was sich zu Hause seit vielen Jahren abspielte. Er würde es aller Wahrscheinlichkeit nach Friederike erzählen, die wiederum meinen Pflegeeltern, und was mir dann blühen würde, konnte ich mir bereits im Vorhinein ausmalen. Aber was hatte ich zu verlieren, außer meinem Leben? Im Grunde genommen nichts. Also brach ich mein Schweigen. Aus Scham berichtete ich zunächst nur zögernd. Erst, als sich diese angespannte Situation etwas lockerte und ich mich etwas sicherer fühlte, ging ich in die Tiefe. Ich erzählte ihm, welchem Martyrium ich seit vielen Jahren ausgesetzt sei. Ich erzählte ihm von meinen Ängsten, Albträumen und Hassgefühlen, von den jahrelangen Quälereien, schlimmsten Misshandlungen und dem Leben im Keller.
    Andreas hörte mir geduldig zu und stellte nichts von dem, was ich berichtete, infrage. Mit ihm darüber zu reden tat mir richtig gut. Er sah mich immerfort an und meinte, dass ich auf mich stolz sein könnte, welch gute Leistungen ich dennoch in der Schule hätte und er versuchte mich dahin gehend aufzubauen, dass ich für meine Tapferkeit im späteren Leben sicher belohnt werden würde. Ich saugte sein Lob auf wie einen Schwamm, sodass ich um ein Haar anfing zu weinen, denn man hatte nie zuvor Positives zu mir gesagt.
    Draußen war es bereits dunkel geworden und wir saßen seit mehreren Stunden an der Bar und redeten nur über dieses eine Thema. Während sich Andreas ein Bier nach dem anderen förmlich in sich hineinschüttete, fragte ich mich langsam, wie ich wohl wieder nach Hause käme. Wäre es nach ihm gegangen, hätten wir noch einige Zeit an der Bar verbracht. Ich jedoch drängte nach Hause, denn, obwohl mir Andreas Rückendeckung für mein Zuspätkommen zusicherte, wurde ich zunehmend nervöser.
    Andreas brachte mich wie vereinbart nach Hause. Er ging noch für einen kurzen Moment mit ins Haus und erklärte meinen Pflegeeltern, dass er mich »entführt« hätte und er der Grund für mein Zuspätkommen wäre. Gegenüber ihrem Schwiegersohn taten sie es mit einem Lächeln ab, so, als wäre mein »Ausflug« mit ihm doch das Selbstverständlichste auf der Welt. Kaum hatte er das Haus verlassen, verwandelten sich die freundlichen Gesichter in furchterregende Fratzen. Ich stand mitten in der Küche, links neben mir mein Pflegevater, rechts meine Pflegemutter. Abwechselnd sah ich beiden ins Gesicht. Ich wusste natürlich, was sie von mir erwarteten. Ich versuchte, mich mit ganz langsamen und kleinen Schritten in die Nähe der Tür zu mogeln. Schnell aber zog mich mein Pflegevater an den Haaren zurück in die Raummitte. Ich tischte ihnen folglich irgendeinen Gesprächsinhalt zwischen Andreas und mir auf und hoffte zugleich, dass damit die Sache erledigt sei. Sie trauten mir nicht. Mit ihren üblichen Foltermethoden versuchten sie, mich zum Reden zu bringen. Aber selbst die Androhung, dass sie mich zur Haarwäsche führen würden, brachte für sie nicht den gewünschten Erfolg. Ich blieb beharrlich bei meiner Aussage und plauderte nichts davon aus, dass Andreas von nun an wusste, was zu Hause abging. Selbst die Androhung, mich zu töten, hätte meinem Schweigen keinen Abbruch getan.
    Später im Keller lag ich auf meinem Bett, und während ich durch Anpusten das Brennen meiner blutenden Striemen etwas zu kühlen versuchte, überkam mich die Sorge, dass Andreas aufgrund seines Alkoholpegels etwas auf dem Heimweg zustoßen könnte. Das Gespräch mit ihm beschäftigte mich die ganze Nacht, sodass ich kein Auge zutun konnte. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl zu wissen, dass von nun an jemand da wäre, mit dem ich über alles reden konnte. Und vielleicht könnte er mir auch helfen, von
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