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Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele
Autoren: Martha Sophie Marcus
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Türschlüssel in die Hosentasche, hüpfte auf ihrem menschlichen Fuß zum Besuchersessel und ließ sich stöhnend darin nieder. Mit Tränen in den Augen rieb sie ihr Schienbein – oder wie auch immer man diese Stelle bei Vögeln nannte. »Also gut«, quetschte sie heraus. »Wenn du schon so blöd sein musstest, mich nicht in Ruhe zu lassen, dann mach wenigstens etwas Nützliches und sag mir, was mit deiner Oma los ist. Ich müsste dringend mit ihr reden.«
    Ihre Frechheit ließ mich den Schock vergessen, den der Anblick ihrer Fußkrallen mir verpasst hatte. »Ich denke nicht daran, dir irgendwas zu sagen, bevor du mir nicht erklärt hast, was du mit Oma zu tun hast und warum … und wer du bist.«
    Sie schnaubte verächtlich. »Und warum ich einen Monsterfuß habe, wolltest du sagen, stimmt’s? Das kommt, weil ich ein Monster bin, ganz einfach. Und deine Oma muss ich sprechen, weil meine Mutter mir geraten hat, das zu tun, wenn ich einmal nicht weiter weiß und sie nicht da ist. Und ich weiß gerade verdammt noch mal kein Stück mehr weiter. Und weder Mama noch deine Oma sind da. Und jetzt guck bloß nicht mitleidig.«
    Ich hatte nicht gemerkt, dass ich mitleidig guckte, aber es stimmte wohl. In so einer Lage wäre ich an ihrer Stelle vielleicht auch zickig gewesen. »Wo ist deine Mutter denn?«
    »Wenn ich das wüsste, wäre ich wahrscheinlich nicht hier. Sie ist weg, schon seit drei Wochen. Ihr muss etwas passiert sein, sonst würde sie nicht so lange fortbleiben. Alle Orte, wo sie sonst hingeht, bin ich abgefl… habe ich abgesucht, aber da war keine Spur von ihr.«
    »Drei Wochen? Da hättest du doch längst die Polizei rufen müssen. Das haben wir wegen Oma auch getan. Ich meine … Sie haben sie nicht gefunden, aber das kann doch bei deiner Mutter anders sein.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Glaub mir, wenn die schon deine Oma nicht finden, dann haben sie bei meiner Mutter nicht die kleinste Chance. Sie ist nicht wie andere Leute. Sie ist …« Wieder rieb sie ihr Schienbein und kniff dabei ihre Lippen zusammen.
    »Wie ist sie?«, platzte ich heraus. »Ist sie wie du? Was seid ihr? Und glaub nicht, ich hätte nicht gehört, dass du eben fast ›geflogen‹ gesagt hättest. Seid ihr Vogelmenschen oder sowas?«
    Voller Abscheu sah sie mich an. »Brüll es doch noch lauter heraus! Mann, warum musste ausgerechnet mir das passieren? Niemand darf es jemals erfahren, hat meine Mutter gesagt. Und ich dumme Gans lasse es jemanden wie dich sehen. Was soll ich jetzt mit dir machen? Eigentlich müsste ich dich umbringen.«
    Auch das noch. Ich hatte zwar keine Angst, dass sie mir etwas tun würde, aber was, wenn es noch mehr von ihrer Sorte gab? Vielleicht waren die daran gewöhnt, Zeugen zum Schweigen zu bringen. Vor meinem inneren Auge sah ich riesige Raubvögel auf mich lauern. Ich räusperte mich. »Wie wäre es, wenn ich schwöre, es niemandem zu verraten? Und du versprichst mir, dass mich niemand umbringt, weil ich es weiß. Erzähl mir doch etwas mehr, vielleicht kann ich dir helfen. Ich bin übrigens Pia. Pia Rabea Baumgärtner.«
    Es sah ein bisschen affig aus, wie sie sich nun kerzengerade aufrichtete, bevor sie mir antwortete: »Jorinde Isabeau Merveux. Und spar dir den dummen Spruch wegen meines Namens. Die meisten Leute nennen mich Jori. Dass du mir helfen kannst, glaube ich kaum.«
    Ich riss mich zusammen und nickte nur. »Es sieht aus, als täte dir dein Bein weh. Kann man dagegen nichts machen?«
    »Nein. Es ist schon ein Glück, dass es nur der Fuß ist. Ich war zu durcheinander. Dann passiert sowas. Verflixter Mist, warum geht das nicht schneller?«
    »Ich weiß zwar nicht genau, was du meinst, aber vielleicht liegt es daran, dass du immer noch durcheinander bist? Wäre ja kein Wunder. Wahrscheinlich musst du dich stärker konzentrieren, um zum Vogel zu werden oder so?«
    »Haha, Komikerin. Zufällig werde ich gerade zum Menschen und nicht zum Vogel. Ich habe doch gesagt, ich bin durch die Dachluke gekommen. Wie hätte ich das machen sollen, ohne zu fliegen?«
    Die ganze Situation war schon merkwürdig genug und eigentlich hätte mich nichts mehr wundern sollen, doch als ich mir vorstellte, wie sie flog, durchschoss mich ein Gefühl, das ich so noch nie gehabt hatte. Es war giftgrüner Neid. Jorinde Isabeau Merveux konnte fliegen, und das hätte ich auch gern gekonnt. Vielleicht hatte ich das von meinem Vater. Er hatte als Pilot für Rettungshubschrauber gearbeitet.
    »Kannst du dich hin- und
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