Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele
Autoren: Martha Sophie Marcus
Vom Netzwerk:
ich ihn nie dazu bringen können, herauszukommen.
    »Es muss aufhören zu zappeln«, rief ich Papa zu.
    Auf seinem Gesicht zeigte sich wilde Entschlossenheit. »Jawohl, Schluss mit der Zappelei!«, brüllte er und schlug mit dem Beil eines der Spinnenbeine ab. Das Vogelscheuchenspinnending tobte einfach weiter. Anscheinend fiel ihm gar nicht auf, dass ihm plötzlich etwas fehlte. So tobte es weiter bis es auch das letzte seiner acht Beine verloren hatte, denn Papa trennte eines nach dem anderen ab. Danach saß er keuchend auf dem Boden inmitten des Sperrmülls und hielt den Käfig mit dem durchgeschüttelten Raben unter einen Arm geklemmt. »So, du Mistrunkelrübe, nun habe ich dich«, stieß er hervor, riss mit der freien Hand den Rübenkopf vom Käfig ab und warf ihn in weitem Bogen über die Schulter nach hinten, wo er in den Dreck plumpste. Doch die welke alte Rübe war ebenso unwichtig für Kotanwi wie die Müllbeine es gewesen waren. Wichtig war bloß der Käfig, das erkannte ich nun. Zwischen seinen Stäben schien ein grünliches Licht zu pulsieren.
    Eilig kniete ich mich neben Papa und hielt das Türchen auf. »Corax, ich bin’s, Pia. Komm raus!«
    Doch so einfach war es natürlich nicht. Mit allen Mitteln, die ich mir überlegt hatte, lockte ich Corax, aber er blieb im Käfig hocken.
    »Verflixter Schneckendreck. Was soll ich tun?«, fragte ich Papa, der krampfhaft den Käfig festhielt.
    »Wie wär’s, wenn du mal deinen Elsternkumpel fragst? Oder ist er das nicht?«, erkundigte Papa sich und wies mit einem Kopfnicken auf einen knorrigen Apfelbaum.
    Dort saß Leander und beobachtete uns.
    »Ich weiß nicht weiter«, rief ich.
    Mit einem eleganten Schwung segelte er vom Baum auf mein Knie und spähte mit sichtlichem Unbehagen in den Käfig. Nachdenklich legte er den Kopf zur Seite, dann pickte er nach meiner Jeansnaht, als hätte er einen Geistesblitz gehabt. Er trippelte zu meiner Hand, stupste und drängte, bis er sich hineinsetzen konnte wie in ein Nest. So hatte er sich noch nie benommen. Eigentlich ließ er sich ebenso ungern anfassen wie ich es als Elster tat. Außer von Strix, bei dem hatte ich es sogar ganz gern.
    Plötzlich sprang Leander aus meiner Hand und stolzierte auf meinem Bein auf und ab, nur um gleich darauf wieder zu stupsen und zu drängeln, bis er sich gemütlich in meine Hand schmiegen konnte. Allerdings nur für einige Sekunden, bevor er wieder auf mein Bein hüpfte, zum Käfig trippelte und mich ansah. Endlich dämmerte es mir.
    Womit könnten wir ihn herauslocken?, hatte ich die anderen gefragt, nachdem Corax in den Käfig geraten war.
    Mit dir natürlich , hatte Strix gesagt.
    Ich holte tief Luft und griff mit der Hand in den Käfig. Dabei schloss ich die Augen, um nicht zu sehen, wie meine Finger unsichtbar wurden. Schlimm genug, dass ich Papas halb erstickten Schreckenslaut hörte.
    Zuerst fühlte ich nichts, außer Kotanwis Bosheit, wie eine Taubheit, die mir den Arm heraufkroch. Behutsam tastete ich im Käfig herum, bis ich weiches, glattes Gefieder spürte und es zart streichelte. »Corax! Komm zu mir«, sagte ich so freundlich, wie ich konnte. Noch einmal strich ich ihm über seine Federn, dann zog ich die Hand langsam zurück und öffnete die Augen. Der Rabe schlüpfte aus dem Käfig und taumelte zu Boden.
    Kaum war er draußen, kam Wind auf, und ein anschwellendes Geräusch verriet, dass sich die Vogelschwärme am Himmel sammelten, die Kotanwi nun rief, um sich ein neues Herz zu fangen. Ich packte Corax mit beiden Händen und hielt ihn fest, ehe er wieder in den Käfig gezogen werden konnte.
    »Das Schloss, Papa, schnell!«
    Die Augen weit aufgerissen wühlte Papa mit der freien Hand in seinen Taschen. Mein Herz raste. Was, wenn er nicht schnell genug war und der nächste Vogel in die Falle ging?
    Doch da fand Papa das Schloss und machte die Käfigtür damit zu. Als hätte er zu lange etwas sehr Heißes oder Eiskaltes festgehalten, warf er den Käfig anschließend hastig von sich.
    Die Vögel am Himmel kreisten inzwischen über uns und dem Käfig, der gruselig grün leuchtete und immer mehr anschwoll. Es schien, als würde er jeden Moment auseinanderplatzen.
    Papa stand auf und ergriff seine Axt. »Besser, wir zerstören das Ding endgültig«, sagte er entschlossen.
    Ich war damit beschäftigt, Corax festzuhalten, der sich aus meinen Händen befreien wollte, und dachte deshalb nicht darüber nach, ob es wirklich gut war, was Papa tun wollte. Er hob die Axt, bereit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher