Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele
Autoren: Marina Heib
Vom Netzwerk:
jeglicher Grundlage. Wenn ich jetzt bitten dürfte, meine Wohnung umgehend zu verlassen. Oder soll ich den Polizeichef von Düsseldorf anrufen, ein guter Freund übrigens?«
    Christian gab zum zweiten Mal vor Clarissa Wedekind klein bei. Sie würde nichts sagen. Keine Drohung würde fruchten. Diese Frau besaß weder Herz noch Gewissen. Er musste es anders angehen. Also bugsierte er die widerstrebende Evelyn hinaus, schickte sie in ein Hotel und schärfte ihr ein, die Füße stillzuhalten. Er selbst fuhr zu den Kollegen der Düsseldorfer Kripo. Im Taxi rief er Anna an. Von Karen gab es immer noch nichts Neues. Die Chancen, sie lebend zu finden, sanken rapide. Christian war hundeelend.
    Während Christian auf dem Weg zur Düsseldorfer Kripo mit Anna sprach, führte auch Eveyln Kopper einige sehr zielgerichtete Telefonate.
    10. September 2009:
Hamburg.
    Karen wachte auf. Dunkelheit umfing sie. Sie war allein im Raum. Das Boot schaukelte sanft in den Wellen, die Bretter knarzten. Ein paar Möwen schrien in der Nähe. Karen fröstelte ein wenig. Über Nacht war es klamm geworden in dem ungeheizten Raum. Feuchtigkeit kroch in ihre Glieder. Sie hätte gerne die grobe kratzende Decke etwas höher gezogen, doch ihre Hände waren auf dem Rücken an einen Fußpfosten der Pritsche gebunden. In ihren Armen kribbelte es. Das aufgestaute Blut kam wieder in Fluss. Sie zerrte an den Fesseln, das grobe Tauwerk schnitt ihr ins Fleisch. Dennoch mühte sie sich weiter ab. Ergebnislos, die Fesseln saßen so fest wie gestern Abend. Die Knoten zogen sich mit jeder ihrer Bewegungen nur noch mehr zusammen. Als sie sich umsah, ob sie einen für sie erreichbaren scharfen Gegenstand entdecken konnte, wurde die Tür geöffnet. Ein Schwall schwachen Tageslichts drang in die Kajüte. Niklas brachte Frühstück.
    Am gestrigen Abend, nach der überraschenden Erkenntnis, dass er ihr Halbbruder war, hatte Karen ihm tausend Fragen stellen wollen. Doch er gab ihr eine Spritze. Er gestand, von den letzten schlaflosen Tagen und Nächten erschöpft zu sein. Außerdem wusste er, dass Karen im Nahkampf ausgebildet war und hatte nicht riskieren wollen, neben ihr einzuschlafen, wenn sie lediglich gefesselt und geknebelt war. Auch die Dosierung dieser Betäubung war ihm gut gelungen. Karen fühlte sich ein wenig matt, aber ihr war nicht schlecht.
    »Du wärst ein guter Anästhesist«, sagte sie, als er sie von der Pritsche hob und mit den Beinen an den Stuhl fesselte. Seine Pistole legte er auf die Kommode. Er achtete darauf, dass sie in keiner Sekunde in Karens Reichweite kam.
    »Die gibt es massenweise.«
    Das Frühstück nahmen sie weitgehend schweigend ein. Karen war hungrig. Niklas sah ihr fast vergnügt beim Essen zu. Er hatte offensichtlich schon gefrühstückt. Oder er ließ es aus.
    »Und was machen wir jetzt? Nach der Henkersmahlzeit das Herz rausschneiden?«, fragte Karen sarkastisch, als sie mit dem Essen fertig war.
    »Kannst du Schach spielen?«, fragte er zurück.
    »Klar. Aber wozu?«
    »Ich könnte dir für den Anfang bei jedem verlorenen Offizier zur Strafe einen Finger abschneiden.«
    »Warum solltest du das tun?«
    »Um Dummheiten zu bestrafen, falls du welche begehst.«
    Karen schüttelte den Kopf. »Was soll das? Willst du meinen IQ testen? Ich habe 156. Und du?«
    »Schachmatt. 163.«
    Plötzlich begann Karen lauthals zu lachen. Verärgert fragte Niklas sie nach dem Grund für die plötzliche Freude.
    »Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich mir immer einen Bruder gewünscht, mit dem ich um die Wette laufen und schwimmen könnte. Jetzt weiß ich, wie sich das anfühlt.«
    Niklas betrachtete sie eine Weile: »Hast du überhaupt keine Angst vor mir?«
    Karen wurde ernst. »Ich glaube, ich habe noch nie richtig Angst gehabt. Vielleicht kann ich das nicht.«
    »Kannst du lieben?«
    »Vielleicht will ich das nicht. Willst du das?«
    Niklas schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Ich würde zumindest gerne wissen, wie es sich anfühlt, ohne Wenn und Aber zu jemandem zu gehören.«
    »Das kannst du nicht erzwingen. So schon gar nicht. Also lass mich gehen.«
    »Vergiss es. Dass du meine Halbschwester bist, ist keine Überlebensgarantie.«
    »Ich weiß«, sagte Karen. »Es ist mein Todesurteil.«

Düsseldorf.
    Christian befand sich mit zwei Düsseldorfer Kollegen im obersten Stock eines neu gebauten Bürohauses, direkt gegenüber von Clarissa Wedekinds Wohnung. Es war schwer gewesen, die Düsseldorfer Kripo davon zu überzeugen, dass Frau
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher