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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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las es und sagte: »Hm, kann ich den Fisch vielleicht einmal sehen?«
    »Was für einen Fisch?«
    »Hier steht, man werde mir einen merkwürdigen Fisch schicken.«
    »Mir deucht, dieser Fisch bin ich!«
    Audubon geriet ins Stottern. Rafinesque lachte nur. Danach haben sie sich nie gestritten. Audubon ist sogar die nachweislich einzige Person, die Rafinesque tatsächlich gemocht hat.
Beide mussten in einem Zeitalter der Hobby-Botanisierer mit ihrer Arbeit Geld verdienen; als Kinder waren beide von revolutionärer Gewalt gezwungen worden, ihre glückliche, französischsprachige Heimat zu verlassen (Rafinesque Marseilles, Audubon Haiti).
    Audubon bot an, seine Bediensteten das Gepäck holen zu lassen, aber der Reisende hatte nur seinen »Packen Unkraut« bzw. – wie Audubon an anderer Stelle schrieb – »seine Gräser« dabei. Rafinesques weitere Habseligkeiten reisten in seinen rätselhaft großen Taschen, die vor allen Dingen ein in geöltes Leder gebundenes Notizbuch, Leinen zum Pflanzenpressen und einen weiten Regenschirm enthielten. Sämtliche Pferde, die ihm als Reittiere angeboten wurden, lehnte er ab, weil seiner Ansicht nach alle Botaniker zu Fuß gehen sollten, um der Erde nah zu bleiben.
    Der Schiffbruch nahm ihm sein Arbeitsmaterial, seine Familie und die Aussicht auf Ansehen, aber er befreite ihn auch. Alles Verzichtbare – Anstand, Sauberkeit und der Anschein von Seriosität – trat in den Hintergrund. Erst nach dem Schiffbruch wurde er zum wahren Rafinesque. Was nicht heißt, dass er nun konzentrierter zu Werke gegangen wäre. Seine »fatale Tendenz zur Zerstreutheit« wurde traurigerweise sogar stärker. Einige setzen die acht Jahre in Kentucky in eins mit dem Beginn seines geistigen Verfalls. Und so war es auch: Aber sein Genie wuchs . Seine Genialität wurde mit der Vervielfachung seiner Fehler und Schwierigkeiten größer. Was an Rafinesque erstaunlich ist und immer erstaunlich bleiben wird: Er fand sich mit nichts ab.
    Man bedenke: Den Großteil des Materials für sein Meisterwerk Ichthyologia ohiensis , dessen Wiederentdeckung die Rehabilitation von Rafinesques außerordentlichem Ruf zur Folge hatte, trug er im Hinterland von Kentucky zusammen. Trotzdem wurde auf derselben Reise auch die Saat für seine wissenschaftliche Schande gesät, denn damals sah Rafinesque zum
ersten Mal die »Mounds«, die vom Regen geglätteten, von Hunderten Generationen indianischer Baumeister errichteten Erdhügel. »Sie lösten in mir die größte Verwunderung aus und veranlassten mich zu näherem Studium«, schreibt Rafinesque. Er notiert, wie schnell die »irdenen Überreste« dem Pflug zum Opfer fielen und dass sie schon »in Bälde ausgelöscht« sein würden. An einigen wenigen Orten in Kentucky, auf von Familien betriebenen Farmen, kann man die Erdhügel noch so sehen, wie Rafinesque sie sah: als geometrische, grasbewachsene Bodenskulpturen, halb auf dem Feld, halb im Wald. Er erklärte, es sei »höchste Zeit, diese Denkmäler exakt zu vermessen«, und machte sich an die Arbeit. Das dabei entstandene Buch, The American Nations , ist allerdings ein weitschweifiger, pseudowissenschaftlicher, wachsweicher Versuch einer von ihm erträumten Theorie zum Ursprung der neuweltlichen Gesellschaften, die, so behauptet er, in der Folge einer Reise von Ur-Kolonisatoren aus dem Mittelmeerraum, den »Atalanten«, entstanden seien. So geht es weiter und immer weiter, Abstammungslinien von Häuptlingen, Namen, Tausende von Jahren betreffende Daten, Informationen, die alles ändern würden, hätte Rafinesque tatsächlich über sie verfügt und wäre er nicht irgendwie dazu imstande gewesen, sich hinzusetzen und die Strapazen auf sich zu nehmen, das alles zu erfinden.
    Mit der Farce nicht zufrieden, ließ er sich zur Fälschung herab und dachte sich eine komplette Migrationssaga für den Stamm der Lenape-Indianer aus. Er schrieb, er habe in Kentucky einige »erstaunlich geschnitzte« Stöcke erhalten, deren Einkerbungen ihn jahrelang beschäftigt hätten, bis es ihm schließlich gelungen sei, sie zu entschlüsseln. Die Stöcke selbst seien auf tragische Weise abhanden gekommen. Aber immerhin habe seine großartige Übersetzung überlebt. Aus dieser wurde dann das berühmte Walam Olum , mit dem sich der Arzneimittelmogul Eli Lilly sein gesamtes Erwachsenenleben hindurch obsessiv beschäftigte und das in manchen Nischen der
akademischen Welt noch heute als echt angesehen wird, obwohl der Lenape-Experte David M. Oestreicher es
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