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Psychotherapeuten im Visier

Psychotherapeuten im Visier

Titel: Psychotherapeuten im Visier
Autoren: Holger Reiners
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Raffinesse des Hausschweins großes Unrecht. Jüngste Beobachtungen – die oft sehr viel aussagefähiger sind als sogenannte wissenschaftliche, aber manipulierte Studien – zeigen, dass das Schwein sich ausgesprochen akzentuiert schweinetypisch auszudrücken versteht. Jede Gefühlslage hat ihren eigenen Betroffenheitston, nicht nur ein Stück weit, wie die Psychologen es unentschlossen, wie sie sind, formulieren würden, sondern ganz direkt: Hic et nunc, hier und spontan spricht das Schwein aus, was es fühlt und
wahrnimmt. Wohlbefinden bietet dem Zuhörer dabei das größte Ausdrucksspektrum in den Grunzvarianten, Stress und Angst dagegen machen das Schwein einsilbig und irgendwann stumm. Das geht uns Menschen, die wir in diesem sympathischen Sinne Schweine sind, doch nicht anders.
    Das arttypische Verhalten des Schweinseins, das Suhlen im Dreck, wie es im unreflektierten Sprachgebrauch heißt, soll eine Seite des Schweinseins beschreiben, die in der Einschätzung ebenso falsch ist wie die Charakterisierung des dummen oder gar blöden Schweins. Das Schwein suhlt sich gern im Schlamm, also in der nassen Erde. Recht hat es ganz instinktiv. Wer sich als Mensch fürs Wohlbefinden, für die Schönheit oder gegen die Gicht am Fuße der euganeischen Hügel in die nasse heilende Erde einpacken lässt, tut nichts anderes: er sucht das Wohlbefinden im warmen Schlamm. Der einzige Unterschied ist, dass der Mensch für diese Suhlkur viel Geld bezahlen muss, das Schwein dagegen sich dieses Wellnessprogramm immer nur dann gönnt, wenn es die Natur ihm schenkt: nach einem ausgiebigen Regen. Deshalb grunzklagt das Turboschwein auch nicht über Gicht, sondern nur häufig über Herzinsuffizienz mangels ausreichender Bewegungsmöglichkeiten – wir Menschen nennen das gesundheitförderndes Training – oder aufgrund zu großer Stressbelastung. Hier sind die Krankheitsfolgen von Mensch und Schwein nahezu deckungsgleich. Schweine sind instinktiv ängstlich und schätzen keine allzu großen Veränderungen in ihrem Lebensrhythmus – so wie das menschliche Wahrnehmungsorgan Gehirn auch keine einschneidenden Überraschungen liebt. Wenn die Tiere dann vom beengten dunklen Stall irgendwann, nach Vorgabe der Computer, die das entsprechende Gewicht errechnet haben, in die größeren Ställe getrieben werden und zum ersten Mal in ihrem Leben
völlig unerfahren nicht nur dem Licht, sondern auch noch dem Antreiben des Stallmanagers ausgesetzt sind und fluchtartig panisch dem als rettend empfundenen neuen Gehege entgegenstolpern, dann bleiben jedes Mal einige Tiere mit plötzlichem Herztod auf der Strecke. Der prozentuale Umsatzausfall ist einkalkuliert und ließe sich nur mit einer artgerechten Tierhaltung vermeiden – aber die lohnt sich betriebswirtschaftlich nicht. Und so lange, wie wir uns nicht schämen, Schweine wie Gefangene in Kerkern zu halten, wie wir es nur aus angstgetriebenen Diktaturen kennen, wird sich daran auch nichts ändern. Arme Menschen, bedauernswerte Schweine.
    Sie merken, wie sehr mir das Schwein am Herzen liegt, nicht weil ich ein übermäßiger Fleischesser bin, sondern weil ich zutiefst traurig darüber bin, wie wir mit dieser so sympathischen Kreatur umgehen – sprachlich, physisch und moralisch. Das Schwein ist zum Produkt und zur Ware verkommen, Opfer der Industrialisierung in der Fleischherstellung und der Ertragsoptimierung je Kilo Lebendgewicht. Unter diesen Bedingungen verdiente das Schwein – wäre es denn nur ein Mensch! – ganz eindeutig den Patientenstatus, wird doch der Mensch auch nur noch nach stets zu optimierender Leistung bewertet und bezahlt – man nennt das dann die Industrialisierung des Arbeitsmarktes.
    Ist das nicht etwas weit hergeholt? Nein, ist es überhaupt nicht. Die Lebenssituation eines Patienten gleicht dem eines Schweins. Versicherungstechnisch und makroökonomisch ist das Produkt Mensch dann gesundheitlich-marktgerecht optimiert, wenn er/sie problemlos auf die Welt kommt, gesund, also krankheits- und kostenfrei heranwächst, lebt und kurz nach der für die Gesellschaft kostenneutralen Situation stirbt: volkswirtschaftlich idealerweise natürlich am ersten Tag des
Rentenbezugs. Bei Schweinen kann man – je nach Unternehmens- und Bauernethik – den ertragsoptimierten Schlachttermin errechnen. Diese ökonomische Optimierungsoffensive ist uns Menschen bei Leben und Ableben verwehrt, zumindest werden Eingriffe in diesen Zyklus, wenn sie denn gewaltsam und aus niederen Beweggründen
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