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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen
Autoren: Kevin Dutton
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schwierig und anstrengend die Umstände sind: Psychopathen. Ein [2] Psychopath würde sich nicht einmal dann Sorgen machen, wenn er den Herd definitiv angelassen hätte. Sehen Sie da einen Silberstreif am Horizont?
    Wenn Sie einem Psychopathen eine solche Frage stellen, wird er Sie wohl in den meisten Fällen verständnislos anblicken, als ob Sie derjenige sind, der verrückt ist. Warum? Für einen Psychopathen gibt es so etwas wie Wolken am Himmel gar nicht, sondern nur Silberstreifen. Die schlichte Beobachtung, dass ein Jahr aus zwölf und nicht aus elf Monaten besteht, machte den Plan, diese Taschenkalender verkaufen zu wollen, eigentlich zu einer Schnapsidee. Nicht so für meinen Vater. Ganz im Gegenteil. Er machte ein Verkaufsargument daraus.
    Damit steht er nicht alleine da. Und liegt auch keineswegs falsch, werden manche sagen. Im Verlauf meiner Forschungen habe ich eine ganze Reihe von Psychopathen getroffen, in allen Lebensbereichen – nicht nur, um das klarzustellen, in meiner Familie. Hinter Gefängnistüren bin ich auch Hannibal-Lecter- und Ted-Bundy-Typen begegnet: gnaden- und gewissenlosen Spitzenpsychopathen, denen man das ziemlich rasch anmerkt, ohne weiter nachfragen zu müssen. Aber ich habe auch Psychopathen getroffen, die weit davon entfernt sind, die Gesellschaft zu zerstören, sondern ihr stattdessen durch ihre Kaltblütigkeit und Entschlossenheit dienen, sie schützen und bereichern: Chirurgen, Soldaten, Geheimdienstleute, Unternehmer – und, wie ich zu behaupten wage, Anwälte. »Mach nicht einen auf großspurig, egal, wie gut du bist. Die Leute sollten dich nicht kommen sehen«, rät Al Pacino als Chef einer einflussreichen Anwaltskanzlei in dem Film ›Im Auftrag des Teufels‹. »Das ist der Trick, mein Guter. Mach dich klein. Mach den Hinterwäldler, den Idioten, den Aussätzigen, den Langweiler. Schau mich an – ich bin vom ersten Tag an unterschätzt worden.« Pacino spielte den Teufel. Und traf mit dieser Bemerkung den Nagel auf den Kopf. Wenn es eine Sache gibt, die Psychopathen verbindet, dann ist es die Fähigkeit, ganz normal und unauffällig zu wirken. Doch hinter dieser brillant getarnten Fassade schlägt das Herz eines Säbelzahntigers.
    Wie mir ein ziemlich erfolgreicher junger Anwalt auf der Terrasse seines Penthouses mit Blick auf die Themse sagte: »Tief in mir lauert ein Serienmörder. Aber ich halte ihn bei Laune mit Koks, Formel 1, One-Night-Stands und brillanten Kreuzverhören.«
    Ganz vorsichtig bewegte ich mich von der Brüstung weg.
    Diese luftige Begegnung mit dem jungen Anwalt, der mich später mit seinem Schnellboot auf der Themse zurück ins Hotel brachte, illustriert in gewisser Weise eine Theorie, die ich über Psychopathen habe. Wir sind so fasziniert von ihnen, weil wir fasziniert sind von Illusionen, von Dingen, die auf den erstenBlick ganz normal erscheinen, sich bei näherer Betrachtung aber als etwas ganz anderes herausstellen.
Amyciaea lineatipes
ist eine Spinnenart, die genauso aussieht wie die Ameisen, die sie gerne frisst. Ihre Opfer erkennen erst, wenn es zu spät ist, dass sie Charaktere nicht wirklich gut beurteilen können. Viele Menschen, die ich interviewen konnte, kennen dieses Gefühl nur zu gut. Und das sind noch diejenigen, die Glück gehabt haben.
    Werfen Sie einen Blick auf das folgende Bild. Wie viele Fußbälle sehen Sie? Sechs? Schauen Sie noch einmal genau hin. Immer noch sechs? [3]

    So ist das auch mit Psychopathen. Sie haben eine makellose Tarnung. Nach außen hin sind sie sympathisch, charmant, charismatisch. Dadurch werden wir von ihrem »wahren Gesicht« abgelenkt, sehen nicht, dass sich eine Anomalie dahinter versteckt,und fühlen uns von ihrer hypnotischen Präsenz angezogen.
    Klinisch betrachtet ist Psychopathie eine Form der Persönlichkeitsstörung. Aber wie Angst, Depression und andere psychische Störungen kann sie gelegentlich anpassungsfähig sein. Psychopathen wie der Teufel Al Pacino und sein prächtiger Londoner Zögling können auch gut für uns sein, zumindest in Maßen. Wir werden sehen, dass Psychopathen eine Reihe von Eigenschaften haben, von denen persönliche Anziehungskraft und ein Talent zur Verstellung nur das Startpaket sind, die nicht nur am Arbeitsplatz, sondern im Alltag generell von Nutzen sein können, vorausgesetzt, man kann damit umgehen. Psychopathie ist wie Sonneneinstrahlung. Wenn man zu viel davon abbekommt, ist sie gefährlich. Aber bei einem vernünftigen Umgang hat sie einen positiven
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