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Prophetengift: Roman

Prophetengift: Roman

Titel: Prophetengift: Roman
Autoren: Nick Nolan
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Sebastians blutendem Oberkörper eine Herzmassage durchzuführen.
    »Er hat zu viel Blut verloren«, schrie die Ärztin. »Gebt ihm noch eine Reserve, sofort!«
    Während der Sanitäter und die Ärztin alles Menschenmögliche taten, konnte Reed nichts tun außer hoffen.
    Doch dann erinnerte sie sich an dieses Gefühl.
    Während das medizinische Personal dieses packte und jenes verabreichte, das Funkgerät quäkte und der hochgejagte Motor heulte, löste Reed still ihren Gurt.
    Dann ging sie geduckt zu Sebastians Körper hinüber und beugte sich über ihn. Der Sanitäter, der versuchte ihn wiederzubeleben, schaute sie an und machte sich dann wieder an die Arbeit.
    »Ich weiß, dass du noch bei mir bist, Sebastian. Ich kann dich spüren.« Sie legte die Hände auf seinen Bauch, so wie er an jenem schönen mondbeschienenen Strand seine Hände auf ihren Bauch gelegt hatte. »Ich liebe dich, und ich könnte es nicht ertragen, wenn du mich jetzt verlässt, wo gerade alles so wundervoll ist.« Tränen liefen ihr über die Wangen und tropften auf seine blutige Robe. »Ich möchte so gern ein Leben mit dir aufbauen, mit Kindern, einem Haus, Hunden, Streit und allem. Wir sind füreinander bestimmt, und wenn du jetzt gehst, wird es mir ergehen wie diesem Mann, der jetzt nie an Mateos Seite schlafen wird, weil sie einander nie kennengelernt haben, aber für mich wird es schlimmer sein, weil ich dich gekannt habe, weil ich mich in dich verliebt habe. Also werde ich jeden Morgen leiden, bis meine Zeit gekommen ist«, schluchzte sie, »weil ich nie mit dir alt werden durfte, weil ich nie zu dir sagen konnte: Ja, ich will dich heiraten. Und ich werde dich so furchtbar vermissen.«
    »Wir sind fast da!«, rief der Fahrer. »Sagen Sie ihm, er soll durchhalten.«
    »Halte durch, mein Liebster«, flüsterte Reed. »Bitte bleib. Tu es für mich. Tu es für uns.«

    »Was ist das?«, wollte Sebastian von Mateo wissen.
    »Was ist was?«
    »Dieses Gefühl – es ist immer noch warm, aber es fühlt sich schwer und traurig an.«
    »Oh, das«, erwiderte Mateo. »Ich erinnere mich, dass eine solche tiefe Traurigkeit von meinem Vater ausging. Du fühlst Reeds Trauer. Sie vermisst dich jetzt schon.«
    »Am liebsten würde ich weinen.« Und sofort sehnte er sich danach zurückzukehren. Er wollte, dass das hier vorbei war; es fühlte sich nicht mehr richtig an. »Ich muss zurück«, sagte er. »Ist es zu spät dafür?«
    Mateo lauschte. »Sie sagen, es steht fünfzig-fünfzig. Du musst noch Arbeit hier leisten.«
    Sofort spürte Sebastian, wie die Öffnung in seinem Kopf größer wurde, und ein großes Licht begann sich um ihn zu drehen, zog ihn an wie ein riesiger Sog. Gleichzeitig sah er Reeds tränenüberströmtes Gesicht und spürte die Wärme ihrer Hände auf seinem Leib, also kämpfte er gegen den Wirbel an und füllte seinen Geist mit Entschlossenheit und Liebe. Und dann spürte er eine Vibration, die ihn umgab, die ihn trug ... ein leises Brummen, das in jeden Teil seines Seins eindrang.
    »Weg vom Patienten!«, rief die Ärztin.
    Der Defibrillator entlud seine Ladung.
    Sebastian spürte, wie der Wirbel sich zurückzog, und Schwindel erfasste ihn. Schwindel und Schmerzen. Furchtbare Schmerzen.
    »Wir haben ihn!«, rief die Ärztin, als der Herzmonitor gleichmäßig zu piepen begann.
    Sebastian keuchte in seine Sauerstoffmaske.

56
    Kitty verbrachte die Nacht im Krankenhaus, zusammengerollt auf dem Stuhl neben Sebastians Bett auf der Trauma-Neuro-Intensivstation. Aber sie schlief nicht; sie war abwechselnd mit offenen Augen krank vor Sorge und krank vor Sorge mit geschlossenen Augen.
    Sebastian war über vier Stunden lang operiert worden. Die Ärzte taten ihr Bestes, um die Schäden zu reparieren, die die gut gezielte Kugel angerichtet hatte, und kurz vor Mitternacht konnte der Patient als gerettet betrachtet werden. Vermutlich dank des sich drehenden Podests hatte das böse Projektil das Herz um Millimeter verfehlt und beim Austreten das Rückgrat gestreift. Zudem wusste man noch nicht, welche Hirnschäden Sebastian eventuell davongetragen hatte, schließlich hatte sein Herz ausgesetzt. So gingen Kitty verschiedene furchtbare Szenarien durch den Kopf: gelähmt mit Hirnschaden, gelähmt ohne Hirnschaden, Hirnschaden ohne Lähmung und so weiter. Das einzige Szenario, an das sie sich nicht zu denken erlaubte, war eine vollständige Genesung, denn sie wurde von Schuldgefühlen gepeinigt und hatte panische Angst vor der karmischen Vergeltung,
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