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PR2604-Die Stunde der Auguren

PR2604-Die Stunde der Auguren

Titel: PR2604-Die Stunde der Auguren
Autoren: Wim Vandemaan
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weit Hinausgetriebenen immer in unserer Mitte, unserem Herzen. Routh hatte diese Rede irgendwann einmal im Werbeholo für Neu-Alashan angesehen.
    Eine blödsinnige Rede, voller Klischees. Aber er hatte sich doch für den Erwerb einer Wohnung entschlossen.
    Villas forscher Erklärung zum Trotz hatten ein paar Nostalgiker einiges an Alashan-Nostalgie und Restauration durchgesetzt. Das Erholungszentrum ALE – das Ancient Landscapes' Empire – war eine exakte Kopie des in die Tiefen des Universums abgestrahlten Originals, und es stand sogar wie damals auch wieder ein Luxushotel namens El Que Faltaba im neuen Alashan.
    Wenn die Außenwand transparent geschaltet war, konnte Routh durch die grüne Schneise des Hyperion-Parks in Richtung des Ringwalls von Terrania Space Port schauen und eines der großen Schiffe starten oder landen sehen, lautlos hinter den unsichtbaren energetischen Startgerüsten und Schallschirmen, die die Schiffe bis in eine Höhe von mehr als fünfzig Kilometern umgaben.
    Konnte – musste aber nicht. Seine Wohnung befand sich fast auf Augenhöhe mit den Mammutbäumen des Parks. Die Bäume erreichten hundert Meter Höhe und mehr, und Rouths Räume befanden sich im 25. Stock der Wohnanlage Gee Ghy.
    Übrigens lag auch das Zentralgebäude des SIN-TC in Sichtweite. Routh konnte zu Fuß in die Redaktion gehen, was er fast zweimal wöchentlich tat.
    Die uralte, genetisch tief verankerte Neigung der Menschen, gemeinsam am Lagerfeuer zu sitzen und über Frauen, Jets und Urlaubspläne zu plaudern – statt praktisch und zeitsparend übers Holonetz zu kommunizieren.
    Wenn Routh Licht durch die Außenwand strömen ließ, würde er den SIN-Tower sehen: das fast tausend Meter hohe, sehr ranke Bauwerk mit dem ausladenden, diskusförmigen Dach, das dem Tower das Aussehen eines zugleich größenwahnsinnigen wie magersüchtigen Champignons verlieh. Eine wunderbare architektonische Metapher für das Netzwerk, dachte Routh. Und ein Leben in Reichweite von Phaemonoes Haifischlächeln.
    Routh ächzte. »Kein Licht hier«, entschied er endlich. »Nur im Bad. Mildes Licht. Milchig. Stell es auf ›Morgendämmerung‹.«
    Er würde duschen gehen – nein, genau das würde er lassen. Zu nass. Und wahrscheinlich – er grinste schief – lagen noch ein paar tote, zusammengeträumte Kraniche in der Kabine. Er würde nur ein wenig Hygienegelee auftragen und sich davon reinigen lassen.
    Er musste endlich seine Trägheit überwinden.
    Also dann.
    Rechts neben dem Torbogen, der vom Schlafraum ins Bad führte, hing immer noch Anicees Gemälde. Wann hatte sie es gezeichnet? Sie musste damals vier oder fünf Jahre alt gewesen sein. Es zeigte Anicee selbst, lachend wie ein Breitmaulfrosch, die Armstriche nach beiden Seiten ausgestreckt, die Hände wie Sterne. Die linke Hand war mit der Hand einer zweiten Figur verkrickelt und verbündet. Diese Figur stand mit furchtbar schiefer Schulter da. So schief, als wäre Anicee der Stift ausgerutscht. Darunter stand in erstaunlich runder Handschrift: »Dad ist da.«
    Damals hatte er noch Dad geheißen und nicht Sham.
    Die rechte Hand des Mädchens griff ins Leere. Ein Turm stand am Bildrand, also in großer Ferne. Das Ding ähnelte einer metallischen Blume, die über einem hingekrakelten Tümpel schwebte. Keine Menschenseele auf dieser Seite. Dazu die Erläuterung: »Ma regirrt.«
    Ma regirrt. Wie ihn dieser kleine, aber hellsichtige Rechtschreibfehler damals gefreut hatte. Wie er ihn immer noch freute, auch wenn Anicee ihm längst entrückt war.
    Routh löste seinen Blick und betrat das Bad. Er zog die Nachthose aus, warf sie ins Wäschesanitär und cremte sich Gesicht und Brust mit dem Gelee ein. Sofort erwärmte sich das Gelee. Langsam glitt es den Hals, die Brust, den Bauch, die Arme hinab.
    Das Gelee weitete ihm die Poren, schwemmte alle Schmutzpartikel aus und absorbierte sie anschließend.
    »Spiegelfunktion für die Kacheln?«, fragte der Servo.
    »Nein.« Er wusste, was er sehen würde. Es wäre immer noch nur mittelgroß, immer noch schlank, mit den immer noch leicht schiefen Schultern, die er sich immer noch demnächst korrigieren lassen sollte. Dabei hatte Routh wie immer das Gefühl, aufrecht und geradeaus zu stehen, ein Sinnbild der Verlässlichkeit.
    Mit den Spiegeln dieser Welt stimmte einfach etwas nicht. Er strich sich ein paar Strähnen des schwarzen Haars aus den Augen, die aber gleich wieder herunterrutschten.
    Das Gelee war fertig und blubberte leise in Richtung
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