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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji
Autoren: Robert Harris
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Sklaven seine Mahlzeit zubereiteten, würde er gern ein Bad nehmen, und watschelte, von Alexion begleitet, davon, um in eine Wanne mit kaltem Wasser zu steigen. Er entledigte sich seiner schmutzigen Kleidung, ließ sich in das klare Wasser sinken und tauchte vollständig unter, bis sich sein Kopf in einer stummen Welt befand. Als er wieder zum Vorschein kam, wünschte er einige weitere Beobachtungen zu diktieren – wie Attilius schätzte er die Ausmaße der Manifestation auf ungefähr acht mal sechs Meilen –, dann ließ er sich von einem von Pomponianus' Leibsklaven abtrocknen, mit Safranöl salben und legte schließlich eine saubere Toga seines Freundes an.
    Fünf Menschen ließen sich zum Essen nieder: Plinius, Pomponianus, Livia, Torquatus und Attilius; nach der Etikette war das keine ideale Zahl, und das Prasseln des Bimssteins auf das Dach machte die Unterhaltung schwierig. Zumindest bedeutete es, dass Plinius eine Liege für sich allein hatte und sich ausstrecken konnte. Der Tisch und die Liegen waren aus dem Speisezimmer hereingetragen und in der hell erleuchteten Diele aufgestellt worden. Zwar war das Essen nichts Besonderes – die Feuer waren erloschen, und das Beste, was die Küche zu bieten hatte, waren kaltes Fleisch, Geflügel und Fisch –, aber auf Plinius' sanftes Drängen hin machte Pomponianus es zumindest mit dem Wein wett. Er präsentierte einen Falerner, zweihundert Jahre alt; einen Wein aus der Zeit, in der Lucius Opimius Konsul war. Es war sein letzter Krug. (»Weshalb sollten wir ihn jetzt noch aufheben«, bemerkte er düster.)
    Im Kerzenschein hatte die Flüssigkeit die Farbe von rohem Honig, und nachdem sie dekantiert, aber bevor sie mit einem jüngeren Wein vermischt worden war – denn sie war zu bitter, um unverdünnt trinkbar zu sein –, nahm Plinius die Karaffe von dem Sklaven entgegen und atmete tief sein muffiges Aroma ein, den Hauch der alten Republik: von Männern wie Cato und Sergius; von einer Stadt, die darum ringt, ein Imperium zu werden; vom Staub des Marsfeldes; vom Kampf gegen Eisen und Feuer.
    Es war fast ausschließlich der Befehlshaber, der redete, und er versuchte, die Unterhaltung leicht zu halten; sorgfältig vermied er jede Erwähnung von Rectina und der kostbaren Bibliothek in der Villa Calpurnia oder des Schicksals der Flotte, die vermutlich inzwischen auseinander gebrochen und über die Küste verstreut war. (Plinius war bewusst, dass das allein schon ausreichen könnte, ihn zum Selbstmord zu zwingen: Er hatte sie in See stechen lassen, ohne auf kaiserliche Ermächtigung zu warten; es war durchaus möglich, dass der Kaiser ihm das nicht verzieh.) Stattdessen redete er über Wein. Er wusste eine Menge über Wein. Julia hatte ihn einen »Wein-Langweiler« genannt. Aber was machte das schon? Zu langweilen war das Privileg von Alter und Rang. Ohne Wein hätte sein Herz schon vor Jahren aufgehört zu schlagen.
    »Aus den Aufzeichnungen geht hervor, dass der Sommer des Konsulats von Opimius diesem sehr ähnlich war. Lange, heiße Tage mit endlosem Sonnenschein – ›reif‹, wie die Winzer das nennen.« Plinius ließ den Wein in seinem Glas kreisen und roch daran. »Wer weiß? Vielleicht trinken in zweihundert Jahren Männer einen Wein dieses, unseres Jahrgangs und fragen sich, was für Menschen wir waren. Unsere Fähigkeiten. Unser Mut.« Das Donnern der Kanonade schien lauter zu werden. Irgendwo splitterte Holz, und man hörte das Brechen von Ziegeln. Plinius schaute um den Tisch herum und betrachtete seine Mit-Speisenden – Pomponianus, der verängstigt zum Dach emporschaute und die Hand seiner Frau umklammerte; Livia, die es schaffte, ihn beruhigend anzulächeln; Torquatus, der mit finsterer Miene zu Boden schaute; und schließlich Attilius, der während der ganzen Mahlzeit kein Wort gesprochen hatte. Er empfand Zuneigung zu dem Aquarius: Er war ein Mann der Wissenschaft, ganz nach seinem Herzen, der ihn auf der Suche nach Erkenntnissen begleitet hatte.
    »Lasst uns einen Trinkspruch ausbringen«, schlug er vor. »Auf die Genialität römischer Baukunst – auf die Aqua Augusta, die uns gewarnt hat vor dem, was passieren würde, wenn wir nur genügend Verstand gehabt hätten, die Warnzeichen zu erkennen.« Er hob sein Glas Attilius entgegen. »Auf die Aqua Augusta!«
    »Auf die Aqua Augusta!«
    Sie tranken mit einem unterschiedlichen Ausmaß an Begeisterung. Und es ist ein guter Wein, dachte Plinius, eine ideale Mischung aus Altem und Jungem. Wie er selbst und
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