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Plattenbaugefühle: Jugendroman

Plattenbaugefühle: Jugendroman

Titel: Plattenbaugefühle: Jugendroman
Autoren: Jannis Plastargias
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Super-Karrierefrau und ein aus der Zeit gefallener Hippie.

    Jetzt bin ich allein.
    Allein in Kranichstein. Habe keinen Bock drauf! Wie konnten mir meine Eltern das antun? Dieses Drecksloch! Es macht mich wütend! Tausendmal hat mein Vater auf mich eingeredet: neue Arbeitsstelle und neue Herausforderung, mehr Geld und mehr Verantwortung, eine Supersache! Ja - für ihn! Als ich noch in Berlin lebte recherchierte ich im SchülerVZ, wo man in DA chillt. Jedes Mal, wenn ich Kranichstein erwähnte oder meine neue Schule, die Erich-Kästner-Schule – die EKS – wurde ich ausgelacht, man erzählte mir Schauergeschichten von Kanacken, Gangstas, HipHop und ich sah mir dämliche Youtube-Videos an, in denen Jungs irgendwelche dummen Verse rappten und sich dabei ›cool‹ bewegten. Was eine Scheiß-Idee, nach Kranichstein zu ziehen!
    Als ich gestern eine Runde drehte, war mir ganz mulmig zumute geworden. In der Nähe der EKS gibt es viele Plattenbauten. Dort wohnen ›Kopftücher‹ und ›Gangsta‹. Und – da passierte es: Drei Jungs standen an einem Hauseingang beisammen – sahen alle sehr fies aus mit ihren dunklen Käppis, fast bis über die Augen gezogen, mit ihren Bomberjacken und Baggy-Jeans. Sie stritten miteinander. Ich konnte nicht hören, worum es genau ging, es fielen Namen, Fatma, Dilara – und irgendwas mit einem ›Afyon‹. »Ey, du Schwuchtel, mach das nicht noch mal!«, haute der Wortführer auf den Schmächtigsten ein – ich sah nur seinen Rücken und seine mittellangen dunklen Haare – der dritte Junge stand tatenlos und lachend daneben. »Hau ab, Afyon!« schrie jemand. Ich beeilte mich wegzukommen. Ob es hier immer so abgeht?

    Mein neues Zimmer. Größer als in Berlin-Schöneberg, schöner sogar; trotzdem würde ich es gerne sofort wieder eintauschen. Meine Eltern haben den Umzug alleine bewältigt, mich haben sie bei Omama gelassen. Meine Oma hat sich für mich wie eine Mutter angefühlt, mehr als meine echte Mama, deswegen ›Omama‹. Seitdem ich zur Schule ging, habe ich die meiste Zeit mit ihr verbracht, nicht mit Mama, und mit Vater erst recht nicht. Den sah ich so gut wie nie, höchstens am Wochenende, wenn er seinen Kopf hinter der Zeitung hervorhob, um mir etwas Wichtiges mitzuteilen: »Streng dich in der Schule mehr an, damit aus dir etwas wird!« Als Geschäftsführer eines internationalen Logistik-Unternehmens musste er schwer schuften, viel Verantwortung übernehmen. Ob sich das in Kranichstein ändert? »Am Anfang muss ich mehr arbeiten …«, sagte er, »mich einfinden, Strukturen schaffen«. Doch dann würde er bei mehr Gehalt als früher auch mehr Zeit haben, mehr Zeit für uns und für sich. Ich hasse das Wort ›mehr‹, besonders wenn es in Papas Mund hin und her tanzt.

    Outfit? Zumindest werde ich keine Baggy-Jeans und Bomberjacke tragen, aber was ziehe ich an? Eines meiner verratzten Outfits? Werden die anderen sich lustig über mich machen? Weiße Chucks? Ich schaue mich im überdimensional erscheinenden Spiegel an – schmächtig zwar, aber mit Ansatz zum Durchtrainiertsein, früher habe ich viel gejoggt und Kampfsport gemacht. Ich gehe ins Bad, bearbeite mit Wachs diese widerspenstigen Haare, schaue unter meine stahlblauen Augen, wo sich große Augenringe befinden. Dafür habe ich ein geheimes Gegenmittel, eine Augencreme mit Frische-Effekt, verspricht der Hersteller. Während ich in mein Zimmer hinübergehe, denke ich an diesen krassen Traum zurück. Ein bisschen wie in meinem Lieblingsfilm ›Vergissmeinnicht‹: Kate Winslet und Jim Carrey liegen auch plötzlich am Meer, allerdings ... sind sie ein verliebtes Pärchen.

    Was ziehe ich an? Weiße Chucks, zerrissene Jeans, enges violettes Shirt mit V-Ausschnitt, weißer Schal – ob mein Outfit okay ist? Alle vorher probierten Outfits liegen auf meinem neuen, größeren Bett ausgebreitet – zum ersten Mal ein Doppelbett, kein schmales Kinderbett mehr. Ich mag das Holz: Walnuss, ganz schön edel. Und diese Wände, die Mama in einem Pfefferminz-Ton gestrichen hat, gefallen mir. Tatsächlich, heute gefällt mir sogar etwas. Was damit zu tun hat, dass sich meine Mutter wirklich Mühe mit dem Zimmer gegeben hat. Sie hat nicht einfach alles dahingerotzt. Sie hat sich Zeit genommen. In Berlin habe ich sie beim Abendessen und vor dem Schlafengehen gesehen. Immer viel zu kurz auf jeden Fall. Als Beraterin im Pharmabereich war sie meistens unterwegs.

    Mein Style? Ist ganz okay – glaube ich. Blond und blauäugig werde ich
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