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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal
Autoren: R Zimmer
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betriebene Verurteilung des Sokrates blieben für
     Platon traumatische Erlebnisse. Popper stellt Platon als enttäuschten Konservativen dar, der mit seiner Philosophie den sozialen
     und politischen Umbrüchen die Legitimation entziehen will. Der
Staat
ist demnach der Entwurf einer idealen und stabilen Gesellschaftsordnung, in der es keine Veränderung geben kann, weil in ihr
     die »Idee der Gerechtigkeit« bereits endgültig verwirklicht ist.
    Doch Platons Gerechtigkeit ist nach Popper nicht jene, die wir seit der Aufklärung mit den Schlagworten »Freiheit, Gleichheit,
     Brüderlichkeit« kennzeichnen. Der von Platon aufgestellte Gerechtigkeitsgrundsatz »Jedem das Seine!« meint vielmehr das Gegenteil:
     Jeder hat den Platz und die Funktion in der Gesellschaft auszufüllen, die ihm von seinem Stand und seiner Geburt her zugewiesen
     werden. Gerechtigkeit bedeutet hier also nichts anderes als die Stabilität eines nicht reformierbaren Ständestaates. In dem
     Entwurf dieses »Idealstaats« sind viele der fatalen Entwicklungen vorgeprägt, wie sie im 20.   Jahrhundert in totalitären Gesellschaften verwirklicht wurden: Zensur, Unfreiheit, Degradierung der Mehrheit der Bevölkerung
     zu Arbeitssklaven und eine konsequente Militarisierung der Gesellschaft.
    Platons Gesellschaftsentwurf geht Popper zufolge nicht von der Gleichheit, sondern von der natürlichen Ungleichheit der Menschen
     aus, eine Ungleichheit sowohl in biologischer als auch in rechtlichmoralischer Beziehung. Mit anderen Worten: Die biologisch
     »wertvolleren« Menschen haben auch Anspruch auf mehr Rechte und auf Herrschaft über die anderen. Eine solche Ungleichheit
     nimmt Platon nicht nur zwischen Griechen und Nicht-Griechen (den so genannten »Barbaren«), sondern auch zwischen verschiedenen
     Bevölkerungsgruppen in einem Staat an.
    |219| Diese Darstellung der politischen Philosophie Platons enthält viele Parallelen zum Zeitgeschehen, die nicht nur für damalige
     Leser offensichtlich waren, sondern auch heute noch deutlich sind: Platon ist für Popper ein Vorläufer der nazistischen Rassenlehre.
     Und in der Tat beschuldigt er ihn ganz ausdrücklich einer »biologischen Rassentheorie«.
    Dabei gehe es Platon vor allem um die Herrenrasse der so genannten »Wächter«, die berufen sind, den Staat zu lenken. Sie seien
     seine Antwort auf den Demokratisierungsprozess in Athen, bei dem die natürliche Herrschaft der alteingesessenen Aristokraten
     zunehmend in Frage gestellt wurde. Durch ein Programm der biologischen Auslese und einer von früher Kindheit an streng beaufsichtigten
     und geregelten Erziehung, die sich am Beispiel der Führungsschicht in Sparta orientiert, soll nach den Vorstellungen Platons
     eine neue, stabile Herrscherschicht gezüchtet werden, die jeden Veränderungsversuch im Keim ersticken kann und vor dem Schicksal
     der Athener Aristokratie gefeit ist.
    Bei Platon gehe es immer um das »Ganze« des Staates: Er werde zum Vater einer »utopischen Sozialtechnik«, die den Anspruch
     erhebt, alle Probleme mit einem Schlag zu lösen, und dem Einzelnen die Rolle zuweist, sich in den großen Gesamtentwurf einzufügen.
     Der Einzelne bedeute nichts. Er sei lediglich ein Zahnrädchen im Gefüge der Gesellschaft.
    Platons Staatsentwurf richtet sich nach Popper vor allem gegen zwei Grundsätze: gegen den Grundsatz des »Individualismus«,
     der die Achtung vor der Freiheit und Würde des Individuums fordert, und gegen den des »Universalismus«, das heißt die Auffassung,
     dass jeder Mensch die gleichen Rechte beanspruchen kann. Diese Grundsätze einer offenen Gesellschaft sind nach Popper aber
     nicht erst in der Aufklärung, sondern auch schon von Zeitgenossen Platons vertreten worden: vor allem von der so genannten
     »Großen Generation«, einer Gruppe von Intellektuellen, die in Athen zu Zeiten des Peloponnesischen Krieges lebten und lehrten.
     Sie haben nach Popper zum ersten Mal die Verantwortlichkeit des Menschen für sein eigenes Schicksal betont.
    |220| Neben Sokrates zählen dazu unter anderem die Philosophen Protagoras und Demokrit, der Historiker Herodot und vor allem Perikles,
     der Führer der athenischen Demokratie, der in seiner berühmten Grabrede die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz propagierte.
     Viele dieser griechischen Aufklärer gehören zur Bewegung der Sophisten, die von Platon als Scharlatane und Wortverdreher geschmäht
     wurden, von Popper dagegen als Vorläufer der modernen Demokratie und des
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