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Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)

Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Mona Bodenmann
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der Stadt Zürich.
    Mit dem
Lift fährt er in den dreiundzwanzigsten Stock. Es behagt ihm, dass er hier oben
in seiner kleinen Wohnung ein anonymes Leben führen kann.
    Trotz der
späten Stunde setzt er sich mit einem Bier auf den Balkon. Die Sicht auf die Stadt
hinunter ist beeindruckend. Sogar den Zürichsee kann er sehen. Und wenn der Fön
sich über die Alpen fallen lässt und im Sauseschritt die Nordschweiz durchquert,
tauchen die schneebedeckten Glarneralpen aus dem Nichts auf und rücken ganz nahe.

16
     
    Möllers letzter Gedanke in dieser
Nacht gilt Viktoria.
    Er empfindet
eine Nähe zu ihr, die er fürchtet, wieder zu verlieren. Etwas Destruktives wirkt
in ihm, was ihn zwingt, sich jeglicher Nähe fernzuhalten.

17
     
    Ein trüber windiger Tag bricht an,
wie damals, als ihr Vater starb.
    Viktoria
wälzt sich aus dem Bett und schleppt sich benommen in die Wohnküche, wo sie von
ihrem Kater Sphinx erwartet wird. Den Schwanz artig um die Vorderpfoten drapiert,
wartet er auf sein Futter. Der Geruch von Büchsenfleisch verursacht ihr Brechreiz.
Trotzdem findet sie das bettelnde Miauen des silbergrauen Katers beruhigend.
    Sie schaltet
die Kaffeemaschine ein.
    Früher brauchte
sie am Morgen mehrere Tassen Kaffee, bevor sie ansprechbar war. Vor allem, wenn
sie am Abend zuvor zu viel Wein getrunken hatte. Mit der heißen Tasse in der Hand
tritt sie hinaus auf die große Terrasse. Kühle Luft schlägt ihr entgegen.
    Sie richtet
ihren Blick auf den bewaldeten Taleinschnitt, der das Rauschen des Baches zu ihr
hinüberträgt. Zu ihrer Rechten liegt Küsnacht, und mitten drin thront der Turm der
reformierten Kirche mit seinem blauen Zifferblatt. Es wird gesagt, dass die Kirche
ein Kraftort ist. Sie findet es tröstlich, dass der Drachentöter St. Georg das zwischen
Zürichsee und Pfannenstiel eingebettete Dorf seit Jahrhunderten beschützt.
    Inzwischen
zählt die Gemeinde zu den reichsten der Schweiz, doch das hat seinen Preis. Sie
bedauert, dass Küsnacht mit seiner hervorragenden Lage immer mehr zu einem Ghetto
der Superreichen von nah und fern verkommt und dem Dorf das Ambiente eines lebendigen,
mit allen Bevölkerungsschichten und Kulturen durchmischten Dorfs fehlt.
    Viktorias
Augen wandern über den See, der mit dem Grau des Himmels verschmilzt. Die weißen
Schaumkronen bilden dazu einen willkommenen Kontrast. Sie kommt ins Grübeln, wie
so oft, wenn sie schlecht und viel zu wenig geschlafen hat. Es ist tatsächlich so,
dass die Vergangenheit einen immer dann einholt, wenn man ihr widerstehen will,
denkt sie seufzend. Nie und nimmer hätte sie gedacht, Valentin wieder zu begegnen.
    In jungen
Jahren fühlte sie sich unbesiegbar. Selbst das Unmögliche schien möglich. Ein Lächeln
huscht über ihr sonnengebräuntes Gesicht. Damals genoss sie es, schnell unterwegs
zu sein, und ihre Ziele verfolgte sie ehrgeizig. Früher umgab sie eine Aura des
Erfolgs. Tatsächlich hat sie in ihrem Leben viel Glück gehabt. In ihrem Beruf als
Journalistin und in der Liebe.
    Doch dann
starb ihre Mutter völlig unerwartet. Kurz darauf verschied ihr Mann Lucien an einem
Herzinfarkt und ihr großartiges Leben kam ins Wanken.
    Zuerst hoffte
sie, die Trauer mit Arbeit verdrängen und weitermachen zu können wie vorher. Doch
sie hatte sich geirrt. Es fehlten die Erfahrung und der Umgang mit Tragödien. Zuerst
machte ihr Körper schlapp, dann ihre Nerven.
    Es schaudert
sie, wenn sie an diese dunkle Zeit zurückdenkt. Denn kaum ging es ihr besser, kamen
neue Rückschläge hinzu, und sie konnte mit ihnen keinen Deut besser umgehen. Zuerst
der gewaltsame Tod ihrer Freundin Iris, und kurz danach der Tod ihres Vaters.
    Zum ersten
Mal in ihrem Leben fühlte sie sich einsam. Diese Einsamkeit wurzelte nicht in der
Abwesenheit eines Lebensgefährten, sondern vielmehr darin, dass sie das Gefühl hatte,
sich selber abhanden gekommen zu sein. Freundschaften gingen in die Brüche, neue
ging sie keine mehr ein. Ihre Zurückgezogenheit verstärkte sich noch durch die Tatsache,
dass sie für ihre alten Freunde kein Interesse mehr aufbringen konnte und mit ihrer
Trauer allein gelassen werden wollte.
    Am Ende
musste sie akzeptieren, dass es keinen Trost gibt, wenn der Tod zuschlägt, dass
das Leben aus einer langen Serie von Abschieden besteht, bis es mit dem eigenen
Tod endet.
    Sie hasst
und fürchtet den Tod, weil er ihr alles genommen hat, woran sie geglaubt und worauf
sie gebaut hatte. Endlich kapiert sie, dass jeder Funke Glück mit einer Träne
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