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Performer, Styler, Egoisten

Performer, Styler, Egoisten

Titel: Performer, Styler, Egoisten
Autoren: Bernhard Heinzelmaier
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restriktiv-obligatorisch ist, sind Werte attraktiv-motivierend (vgl. Joas 1997: 288). Werte wollen also nichts erzwingen, sie wollen ein Beispiel geben und überzeugen. Dieses demokratische und offene Werteverständnis kommt oft in Konflikt mit der Praxis von Institutionen, die die von ihnen vertretenen Werte um jeden Preis durchzusetzen versuchen. Beispiele dafür gibt es viele, in unseren kulturellen Breiten genauso wie in der islamischen Welt und in den Ländern des europäischen Ostens. Gegenwärtig ist gerade die orthodoxe Kirche des Ostens im Mittelpunkt der medialen Kritik, weil sie ihre Wertvorstellungen zum Sexualverhalten der Menschen nicht nur damit durchzusetzen sucht, dass sie homosexuellen MitbürgerInnen mit der Hölle droht, sondern sie motiviert ihre gläubige Gefolgschaft auch dazu, öffentliche Auftritte von Schwulen und Lesben mit Gewalt zu stören, und nimmt den Staat in den Dienst für ihre reaktionäre Wertepolitik, indem sie Gesetze und Verordnungen gegen Homosexuelle und ihre Organisationen erwirkt. Wir sehen also, dass Werte prinzipiell weder gut noch böse sind. Sie können für dieses und jenes stehen und am Ende kommt es darauf an, wie man sie einsetzt und benutzt. Werden sie nicht als eine von vielen Handlungsmaximen, unter denen der Mensch frei wählen kann, gehandhabt, dann verwandeln sie sich, ehe man es sich versieht, in ein tyrannisches Instrument einer die Würde des Menschen verachtenden totalitären Herrschaft.

Kultur und Bildung im Konkurrenzgetümmel
    Über Humboldt, Sokrates und PISA-Pädadogik
    In seiner Langzeitstudie zum Thema „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Sexismus) spricht Wilhelm Heitmeyer vom Übergang von einem marktwirtschaftlichen zu einem marktgesellschaftlichen Regime (vgl. Heitmeyer 2007). Damit ist gemeint, dass sich die Imperative des Marktes gesellschaftlich verallgemeinern, während sie früher nur in einem abgegrenzten Bereich, eben dem Markt, das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage gestalteten. Die Imperative des Marktes, die nun zu allgemeinen Gradmessern menschlichen Denkens und Handelns werden, sind im Kern Effizienz, Nützlichkeit, Verwertbarkeit, Funktionsfähigkeit und Rentabilität (vgl. ebd.). Richtete sich früher lediglich das Marktgeschehen nach diesen Kriterien, d. h. Warenproduktion und Warenaustausch, so wird heute nahezu das gesamte Leben von ihnen beherrscht. Immer wieder werden neue Teile der menschlichen Lebenswelt in den Markt hineingezogen, in Waren verwandelt oder zumindest beurteilt, als hätten sie Warencharakter. Heitmeyer führt hier viele Beispiele an. Ein besonders aktuelles und auch eindrucksvolles ist wohl die Veränderung der Qualität sozialer Sicherungssysteme. So werden immer größere Teile der Alters- und Daseinsvorsorge aus dem staatlichen Verantwortungsbereich ausgelagert und dem Markt überantwortet. In der öffentlichen Diskussion ist dieser Prozess mit dem Begriff der Eigenvorsorge gekennzeichnet.
    Wie der Markt mit der Daseinsvorsorge der Menschen umgeht, zeigt der amerikanische kommunitaristische Philosoph Michael J. Sandel in seinem Buch „Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des Marktes“. Er beschreibt, wie amerikanische Versicherungsgesellschaften die Lebensversicherungen ihrer Kunden bündeln und als riskante Finanzprodukte an die Börse bringen oder wie Unternehmen für ihre MitarbeiterInnen Lebensversicherungen abschließen und damit nichts anderes tun als auf die Lebenserwartung ihrer MitarbeiterInnen Wetten abzuschließen. Was ist der gravierende Unterschied zu früher? Früher schlossen die Menschen auf ihr eigenes Leben eine Wette mit einem Versicherungsunternehmen ab, heute tun das Dritte, z. B. der Arbeitgeber, um vom frühen Tod seiner Angestellten zu profitieren. Für Sandel ein klarer Fall, durch den die moralischen Grenzen des Marktes überschritten werden.
    Neben der Vermarktwirtschaftlichung der sozialen Sicherungssysteme lassen sich noch andere Beispiele für den Wandel von der Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft anführen. Ein nicht unwesentliches Beispiel ist die Unterordnung des Familienlebens und der Schule unter die Anforderungen des Marktes. Immer mehr Funktionen der Familie werden in den Markt ausgelagert. Die Erwerbsarbeit hat einen höheren moralischen, ideellen und materiellen Wert als die Familienarbeit.
    Der Mensch und die staatlichen Institutionen haben sich nach den Märkten
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