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Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)

Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)

Titel: Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
Autoren: Robert Greene
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Anwendungsmöglichkeiten, und sie kannten jeden Quadratzentimeter im Dschungel. Wenn sie Luftblasen oder Wellen in einem Fluss sahen, wussten sie sofort, ob diese Bewegung von einem ins Wasser fallenden Stein herrührte oder von einem gefährlichen Tier, das unter der Oberfläche lauerte. Sie beherrschten ihre Lebenswelt, wie Everett es allein aufgrund seiner Beobachtungen im Dorf nie vermutet hätte. In diesem Moment begann er zu verstehen, dass die Kultur der Pirahã nicht so arm war, wie er zunächst gedacht hatte, sondern bemerkenswert reich. Sie hatten mit den Jahrhunderten eine Lebensweise angenommen, die perfekt an die harten Lebensbedingungen in dieser Umgebung angepasst war.
    Jetzt sah er auch die Vorfälle, die ihn gestört hatten, in einem völlig neuen Licht. Die Pirahã erlebten den Tod tagtäglich (im Dschungel wimmelte es nur so von Gefahren und Krankheiten), und so hatten sie eine recht stoische Haltung entwickelt. Sie konnten es sich ganz einfach nicht leisten, Zeit mit Trauerritualen oder zu viel Mitgefühl zu verschwenden. Sie spürten, wenn jemand sterben würde, und so waren sie überzeugt gewesen, dass das Schicksal des Babys, das die Everetts gepflegt hatten, besiegelt gewesen war. Für sie war es einfacher und besser, wenn sie den Tod des Kindes beschleunigten und nicht zurückblickten. Die Dorfbewohner, die ihn töten wollten, hatten gehört, dass er ihre Trinkerei nicht mochte. Sie hatten daraufhin befürchtet, er sei nur ein weiterer Fremdling, der ihnen seine Werte und Autorität aufdrängen wollte. Sie hatten Gründe für ihr Verhalten, aber diese Gründe verstand Everett erst mit der Zeit.
    Everettbeteiligte sich jetzt stärker am Leben der Pirahã – er nahm an Ausflügen zum Jagen oder Fischen teil, sammelte Wurzeln und Gemüse in den Feldern und vieles mehr. Seine Familie und er aßen mit den Pirahã gemeinsam und suchten bei jeder Gelegenheit den Kontakt. So vertiefte sich Everett immer weiter in die Kultur der Pirahã. Mit der Zeit veränderte sich dadurch auch Everetts Zugang zur Sprache. Er lernte sie jetzt auf natürliche Weise – nicht durch die harte Arbeit eines Forschers, sondern einfach durch seine Teilnahme an der Kultur. Er begann, wie ein Pirahã zu denken, und sah ihre Reaktionen voraus, wenn westliche Besucher sie um etwas baten. Er lernte ihren Sinn für Humor kennen und auch die Geschichten, die sie sich am Feuer erzählten.
    Je mehr Aspekte ihrer Kultur er verstand und je besser er mit ihnen kommunizieren konnte, umso mehr Eigenheiten der Pirahã-Sprache fielen ihm auf. Everett war von den vorherrschenden Theorien indoktriniert worden, die vor allem von Noam Chomsky vertreten wurden. Nach Chomsky haben alle Sprachen gewisse gemeinsame Merkmale, die er als Universalgrammatik bezeichnete. Teil dieser Grammatik ist eine angeborene neurologische Eigenschaft, die kleinen Kindern den Spracherwerb ermöglicht. Nach dieser Theorie besitzt der Mensch von Natur aus die Veranlagungen für Sprache. Doch je mehr Zeit Everett bei den Pirahã verbrachte, umso mehr Anzeichen entdeckte er, dass ihre Sprache einige dieser gemeinsamen Sprachmerkmale nicht besaß. Die Pirahã kannten keine Zahlen und hatten kein Zählsystem. Es gab keine eigenen Wörter für Farben, sondern sie beschrieben Farben durch Phrasen, die sich auf reale Objekte bezogen.
    Die Rekursion gilt in der Universalgrammatik als wichtigstes gemeinsames Merkmal aller Sprachen. Der Begriff steht für die Einbettung von Phrasen in anderen Phrasen, wodurch Sprache ein nahezu unbegrenztes Potenzial erhält, um Erfahrungen auszudrücken. Der Satz »Das Essen, das du isst, riecht gut« ist ein Beispiel für Rekursion. Everett fand keinerlei Hinweise auf Rekursion bei den Pirahã. Sie verwendeten einfache Aussagesätze wie: »Du isst das Essen. Das Essen riecht gut.« Nach und nach fand er immer mehr Ausnahmen von der Universalgrammatik.
    Zur selben Zeit verstand er die Kultur der Pirahã immer besser, und dies veränderte auch seine Vorstellungen von ihrer Sprache. Einmal lernte er ein neues Wort, dessen Bedeutung ihm ein Pirahã folgendermaßen erklärte: »Was in deinem Kopf ist, wenn du schläfst.« Das Wort bedeutete also »träumen«, aber es wurde mit einer besonderen Betonung verwendet, die Pirahã anwenden, wenn sie von einer neuen Erfahrung sprechen. Everett fragte nach und erfuhr, dass für die Pirahã das Träumen nur eine andere Form der Erfahrung darstellte, eine reale Erfahrung. Ein Traum ist für sie so real
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