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Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche

Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche

Titel: Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Autoren: Manuel Vazquez Montalban
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kennengelernt hatte, und steckte sich eine Montecristo Número I an. Er benutzte zwei Sofas, um fast waagerecht liegen zu können. Mit der Zigarre in der einen und dem Kaffee in der anderen Hand lag er da, und sein Blick verlor sich in den ohnmächtigen Versuchen der Flammen, den rußigen, düsteren Schacht des Kamins hinaufzufliehen. Er sah den Körper eines jungen blonden Mannes vor sich, ›groß und blond wie das Bier‹, wie es in dem Lied hieß. Ein Mann, der imstande war, sich den Satz auf die Schulter tätowieren zu lassen:
Ich bin geboren, das Inferno aus den Angeln zu heben
. Von allen Tätowierungsgeschichten, die er schon gehört hatte, hatte ihn jene von dem armen Gauner besonders beeindruckt, auf dessen Brust stand:
Tod der Polizei
. Er hatte teuer bezahlt für diese Grundsatzerklärung. Im Laufe von fast dreißig Jahren saß er in verschiedenen Haftanstalten immer wieder kleinere Strafen für Verstöße gegen das ›Gesetz für Landstreicher und Betrüger‹ ab. Die Untersuchung der Tätowierung von ›El Madriles‹ gehörte damals zu den beliebtesten Zerstreuungen auf den Polizeiwachen des ganzen Landes.
    »Na, Madriles, zeig mal her,
hombre

    »Ich schwör’ Ihnen, Herr Inspektor, ich hatte damals einen schlechten Tag. Ich war besoffen, als es mich gepackt hat. Der Tätowierer hat mir gleich gesagt, ich soll die Finger davon lassen. ›Madriles‹, sagte er, ›das wird dir einen Haufen Ärger einbringen.‹«
    »Auf einmal mehr kommt es auch nicht mehr an. Los, Madriles, zieh dein Hemd aus.«
    Der Tätowierer! Irgend jemand mußte die Tätowierung des großen Blonden gemacht haben. Es gab nur noch wenige Meister dieser Kunst. Allerdings mußte man zunächst wissen, ob es eine herkömmliche oder nur eine oberflächliche Tätowierung aus einem Pariser Drugstore war, die sich jedes junge Mädchen mit dem Verlangen nach Spuren auf Körper und Geist machen konnte. Es mußte sich um eine tiefgehende Tätowierung handeln. Andernfalls hätten dieselben Wellen, die den Fischen Zeit für ihr Festmahl gelassen hatten, die Inschrift aufgelöst, und der Körper wäre nicht nur mit der Nacktheit des Todes aus dem Meer geborgen worden, sondern auch mit der Nacktheit der absoluten Anonymität – es sei denn, die Polizei hätte irgendwo seine Fingerabdrücke registriert. ›Der Personalausweis‹, dachte Carvalho. ›Wer ist bei denen eigentlich nicht irgendwo im Archiv?‹ Er spann eine erste mögliche Geschichte der Beziehung zwischen dem Toten und seinem Klienten: Irgendeine Komplizenschaft verband die beiden Männer. Carvalho versuchte diese Hypothese aus seinem Geist zu verbannen. Wie er aus Erfahrung wußte, war es der schlimmste Fehler bei der Untersuchung eines Falles, von einer bestimmten Annahme auszugehen. Dadurch kann der Prozeß der Annäherung an die Realität beeinflußt und sogar in die Irre geleitet werden.
    Als Carvalho den ersten Liter seines nächtlichen Kaffees getrunken hatte, war das Feuer so stark geworden, daß es bullerte und das Zimmer zur Schaubühne seiner verrückten und angeketteten Bewegung machte. Carvalho war es nun heiß, und er entkleidete sich bis auf die Unterhose. Aber nur für einen Moment. Der reichte aus, um seinen Körper mit dem des Ertrunkenen gleichzusetzen und angstvoll nach der zweiten Haut der Pyjamajacke zu greifen.
    Er erwachte, als er es müde war zu schlafen. Durch das halboffene vergitterte Fenster drangen die aufgebrachten Gespräche der Vögel, entnervt von der Gewißheit der Hitze und der Sonne. Ein Blick aus dem Fenster überzeugte ihn, daß alles am rechten Ort war, Himmel und Erde. Der Boiler und die italienische Espressokanne halfen ihm, das Bewußtsein seiner selbst wiederzugewinnen. Dusche und Kaffee drängten ihm die Gewißheit auf, daß er hier und jetzt lebte und überdies dringliche Projekte hatte, die ihm helfen würden, einen Tag zu vergeuden, den er sowieso nicht für Besseres nutzen konnte.
    Am Nachmittag würde die Putzfrau kommen, und Carvalho sah kurz nach, ob etwas offen herumlag, das Máxima nichts anging. Dabei fiel ihm auf, daß er seine Post noch nicht geöffnet hatte. Er studierte die Absender, um auszusortieren, was sich zu lesen lohnte. Fast alles Reklame, bis auf zwei Briefe. Der eine war von der Bank und enthielt einen Kontoauszug, der andere war von seinen Verwandten in Galicien. Carvalho öffnete zuerst den Brief von der Bank. Sein Kontostand betrug einhundertzweiundsiebzigtausend Pesetas. Er holte aus seinem Jackett die
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