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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson
Autoren: Wagnis des Herzens
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stand ihre Tochter Emma.
Wegen der Kälte trug sie einen alten grauen Pullover und darüber einen
fleckigen Malerumhang.
    Sie
betrachtete versunken ein schweres vierbeiniges Gestell mit einer drehbaren
Platte. Darauf lag ein großer gelber Klumpen Ton, der von einem rostigen
Eisenrahmen gehalten wurde.
    Sie kann
sich natürlich nicht wie andere Mädchen für Wasserfarben und Pastelle
interessieren, dachte Bethel. 0 nein! In einer Welt, in der Töchter keinen
Anstoß erregen durften, mußte sich ihre Emma einbilden, eine Bildhauerin
zu sein. »Emma!« rief Bethel streng. Aber sie hätte ebensogut zu einem der
Steinblöcke sprechen können. Emmas Konzentration richtete sich ausschließlich
auf den feuchten Lehm, der zur Hälfte modelliert irgendwie nach einer
menschlichen Gestalt ohne Kopf aussah. Bethel schüttelte angewidert den Kopf.
Sie versuchte sich vorzustellen, was das Ding darstellen sollte. Ihre Tochter
griff gerade nach einer Spachtel, die auf dem Tisch neben fleckigen Lumpen lag,
und strich damit den Ton glatt.
    Es ist ein
Bein, dachte Bethel plötzlich. Das Bein eines nackten Mannes ...
    Bethel
stieß einen spitzen Schrei aus. Ein stechender Schmerz durchbohrte ihre Brust.
Funken tanzten vor ihren Augen, der Boden begann, unter ihren Füßen zu
schwanken, das Licht, das durch die Fenster fiel, wurde schwächer, immer
schwächer, und alles um sie herum versank in Dunkelheit.
    Als Bethel
die Augen wieder aufschlug, legte ihr Emma gerade ein feuchtes Tuch auf die
Stirn. Sie kniete neben ihr, und Bethel lag auf etwas Weichem ... auf einem
schmutzigen alten grüngestreiften Sofa, aus dessen geplatzten Nähten die
Polsterung hervorquoll. Bethel wollte sich aufsetzen, aber alles um sie herum
geriet erneut ins Wanken.
    »Was ...?«
    »Du bist in Ohnmacht gefallen,
Mama. Du hast dir von Jewell wieder einmal die Korsage zu fest schnüren lassen.«
    »Das hab
ich nicht ...«
    Bethel
schob die Hände ihrer Tochter beiseite –, dabei entging ihr nicht, daß an den
Fingern noch gelber Lehm klebte. Ihre Augen richteten sich wieder auf den
kopflosen nackten Mann. Selbst in diesem unfertigen Zustand und ohne Kopf sah
man eindeutig, was es war, was er war – himmelschreiend ... männlich.
    Bethel schloß die Augen. Sie
wollte Emma auffordern, die Statue zu verhüllen. Aber sie durfte auf keinen
Fall zu erkennen geben, daß sie etwas so Unanständiges überhaupt zur Kenntnis
nahm. Es war ihr unmöglich, darüber zu sprechen.
    »Ich werde dir das Korsett
aufschnüren«, hörte sie Emma sagen. »Du schnappst nach Luft wie ein Fisch auf
dem Trockenen.«
    Bethel
schob wieder die Hände ihrer Tochter beiseite.
    »Das wirst
du nicht tun, denn es ist keineswegs zu eng geschnürt ... ich meine, nicht
enger, als es sein muß. Außerdem schnappe ich nicht nach Luft. Wie kann
man so etwas Boshaftes zu seiner eigenen Mutter sagen.«
    Bethel
hörte selbst den schleppenden Südstaatendialekt in ihrer Stimme. Sie verlor immer
dann die Kontrolle über ihre Aussprache, wenn sie sich aufregte. Abgesehen
davon hatte sie das unangenehme Gefühl, eine Szene zu machen, und nichts zeugte
mehr von einem schlechten Elternhaus als das.
    Bethel holte tief Luft, um sich
zu beruhigen, aber wieder bohrten sich ihr dabei die Korsettstäbe in die
Seiten.
    Sie verzog
gequält das Gesicht und sagte weinerlich: »Du kannst dir wirklich keine
Vorstellung von den Qualen machen, die ich auf mich nehme, um vor der Welt so
zu erscheinen, wie es sich schickt. Du bist schon immer mager gewesen. Ohne das
Korsett würde ich hingegen aussehen, als hätte ich eine ganze Wassermelone
verschluckt. Dein Vater kann dicke Frauen nicht ausstehen. Du ahnst nicht, wie
oft ich das aus seinem Mund schon hören mußte. Und ich habe alles versucht,
mich nicht gehen zu lassen.« Sie war den Tränen nahe. »Aber dann kamen die
Kinder und ...«
    Emma
kauerte neben ihr und betrachtete sie mit ihren ungewöhnlich schillernden
Augen. »Du unterstellst ihm etwas Falsches, Mama. Und das weißt du auch ganz
genau. Papa hat dich nicht verlassen, weil du Kinder bekommen hast und dein
Bauch etwas rundlicher wurde.«
    Bethel holte weit aus und gab
ihrer Tochter eine so feste Ohrfeige, daß der Kopf auf dem langen schlanken
Hals schwankte. Aber nicht Emma, sondern Bethel brach danach in Tränen aus.
    »Was habe ich getan, daß du mich dazu getrieben hast?«
schluchzte sie, denn nichts war schlimmer als ein unbeherrschter Gefühlsausbruch.
»Ich bin sicher, es gibt Augenblicke, in denen du mich
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