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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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aus Plastik, Gips und Holz. Manche der Marienstatuen waren mit einer
Leiste aus bunt blinkenden Lichtern umgeben, andere standen in einer Plastikgrotte,
die dem Ort der Erscheinungen nachempfunden war. Für diejenigen, die eher von
profanen als von religiösen Bedürfnissen getrieben wurden, gab es Chips,
Schokolade und andere schnelle Snacks.
     
    Die
Erscheinungen waren vor über hundertfünfzig Jahren ein Spektakel, jetzt waren
sie purer Kommerz. Wer an Maria nicht genug hatte, konnte auf dem Wühltisch
einen Rosenkranz erstehen, einen gekreuzigten Jesus oder einen Schlüsselanhänger
von Papst Benedikt XVI., der immer noch von der Popularität seines Vorgängers
überstrahlt wurde. Mit Sinn fürs religiöse Drama hatte sich eine Bettlerin
unter dem überlebensgroßen Porträt von Johannes Paul II. niedergelassen, den
Gehstock an die rote Mauer gelehnt, die Hände demütig zum Gebet gefaltet.
     
    Max kam
kopfschüttelnd aus einem der Läden. In der Hand hatte er die Entwürfe von Kiki.
    »Hier ist
es leichter, ein Wunder zu bekommen als ein Faxgerät.«
    Kiki
wühlte sich durch die durchsichtigen Plastikflaschen, die die Form und Gestalt
von Marienstatuen hatten. Am Ende entschied sie sich für eine
Maria-und-knieende-Bernadette-Flasche, auf deren Sockel die goldene Aufschrift
prangte: »Que soy era Immaculada Councepciou«. Wie bei allen Flaschen ließ sich
die blaue Krone von Maria abschrauben, um das heilige Wasser in Maria und
Bernadette einzufüllen und so mit nach Hause zu nehmen. Für diejenigen, die
größeren Bedarf an Quellwasser hatten, standen Kanister zur Verfügung, die
trotz frommem Aufdruck und blauem Schraubverschluss an Benzinkanister
erinnerten.
    »Sollen
wir das heilige Wasser holen?«, überlegte Kiki.
    »Du fragst
einen Atheisten. Im Flugzeug glaube ich an Gott. Nach der Landung bedeutend
weniger.«
    Doch Kiki
hatte bereits ihren Geldbeutel gezückt. »Wenn es nicht hilft, schaden kann es
auch nicht.«
    Max nahm
Kiki in den Arm und küsste sie.
     
    Estelle
war genervt. Wo sie auch stand, immer war sie irgendeinem Rollstuhlfahrer im
Weg. Gruppenweise wurden sie zur Grotte der Erscheinungen geschoben. Wer keinen
eigenen mitgebracht hatte, wurde auf rikschaähnlichen blauen Fahrsesseln in
Richtung Wallfahrtsbezirk gezogen. Wo andere Städte Radwege haben, hatte
Lourdes eine rot markierte Spur für das fahrende Volk.
    »Man fühlt
sich fast schon schuldig, wenn man nicht wenigstens am Stock geht«, beschwerte
sich Estelle.
     
    Eva hatte
Kerzen gekauft und verteilte sie an die Freundinnen.
    »Für die
Lichterprozession heute Abend«, erläuterte sie.
    »Ich bin
froh, dass ich bis hierher gekommen bin«, wehrte Estelle ab. »Mein Bedarf an
katholischen Ritualen ist für die nächsten hundertfünfzig Jahre gedeckt.«
    Ihr Vorrat
an Kompromissen war in den Kilometern, die sie auf dem Pilgerweg gelaufen war,
restlos aufgebraucht. Sie war bis Lourdes gepilgert. Mehr konnte man nicht von
ihr verlangen. Sie hatte die Gesunden ohnehin im Verdacht, dass sie
hierherfuhren, um zu sehen, dass es anderen noch schlechter ging.
    »Ich schau
mir später die Fotos an«, rief Estelle und verschwand Richtung Hotel. Als sie
ihren Freundinnen zuwinkte, merkte sie, dass sie nicht die Einzige war, die
ausscherte. Judith war verschwunden. Ohne ein Wort.
     
    73
     
    »Das Licht
dieser Kerze ist Zeichen meines Betens«, las Judith. Der Satz war in die dicke
Stahlplatte gestanzt, die die Rückwand des Opferstocks bildete. Daneben ein
zweiter Karren mit derselben Schrift, diesmal in Englisch. Und dann in
Französisch, in Niederländisch, Italienisch. Die Opferstöcke standen zu beiden
Seiten und bildeten eine Gasse aus Stahl und Licht. Judith sah, dass viele der
Kerzen erst in der Rue de la Grotte erstanden waren. Nur dort gab es diese charakteristischen
Kerzen mit dem blauen Fuß. Manche hatten kiloschwere Ungetüme mit frommen
Wachsinschriften nach Lourdes gebracht, Judith die Kerze von Arnes Grab.
    Im
Hintergrund rief der Lautsprecher die Wallfahrer bereits zur abendlichen
Lichterprozession. Ein Kerzenwächter, der über den ordnungsgemäßen Gebrauch der
Opferstöcke und das Recycling der Reste wachte, zeigte Judith, wo Platz für
Arnes Kerze war. Feierlich entzündete sie den Docht an einer brennenden Kerze
und drückte sie vorsichtig auf die Stahlnadel.
    So viele
Lichter. So viele Fürbitten. In Judith war es still. Sie hatte keinen Wunsch
mehr. Sie hatte Lourdes erreicht. Sie hatte bis zum Ende durchgehalten.
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