Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag
Autoren: Andreas Schlüter
Vom Netzwerk:
Außenalster war ein See mitten in der Stadt. Im Sommer voll mit hingetupften Segeljollen und Tretbooten, in besonders kalten Wintern manchmal zu einer riesigen Eisfläche gefroren. Dort versammelte sich dann ganz Hamburg, um an zahlreichen Buden Glühwein zu trinken. Huan mochte die Alster, den freien Blick über das Wasser. Nur den Blick. Wasser selbst mochte er nicht. Im Gegenteil, vor nichts fürchtete er sich mehr als vor Wasser. Nie im Leben wäre er in eine Jolle gestiegen oder hätte sich auf eine noch so feste Eisfläche gewagt. Im Wasser, so ahnte Huan, würde er eines Tages den Tod finden.
    Seit drei Jahren, seit seine Mutter die Stelle an der Eppendorfer Uniklinik angenommen hatte, lebten sie jetzt in Hamburg. Huans Vater war Biologe und arbeitete inzwischen als Wissenschaftsjournalist für eine Zeitung. Huan war das einzige Kind seiner Eltern. Einzelkind zu sein, störte ihn nicht, es hätte ihm aber auch nichts ausgemacht, Geschwister zu haben. Ob seine Eltern gern noch mehr Kinder gehabt hätten oder warum es bei einem geblieben war, wusste er nicht. Überhaupt stellte Huan nicht viele Fragen, denn er vermisste nichts. Er wusste nicht, was seine Eltern verdienten, aber es war offenbar genug. Geld bedeutete Huan ohnehin nicht viel, denn seine Eltern schenkten ihm ihre ganze Aufmerksamkeit, waren lustig und hörten ihm zu. Ansonsten brauchte er nicht viel. Kein besonderes Spielzeug, keine besonderen Schuhe, Jacken oder Handys. Er trug meist nur Jeans und T-Shirts, war zufrieden mit dem, was er hatte oder was seine Eltern ihm von Zeit zu Zeit schenkten, und behandelte seine Sachen mit ausgesuchter Sorgfalt. Spezielle Interessen oder Hobbys hatte Huan bislang noch nicht entwickelt. Er war höflich zu jedermann, hatte aber am liebsten seine Ruhe, konnte in klaren Sätzen sprechen, und in der Schule gab es keine Probleme. Huan war vollkommen unauffällig, bis auf sein asiatisches Äußeres, obwohl er schon viel weniger chinesisch aussah als seine Mutter. Er wurde zwar gelegentlich zu Geburtstagen von Schulfreunden eingeladen, aber von Huan selbst kam nie eine Einladung zurück. Er war nicht daran interessiert, Freunde zu haben. Er beteiligte sich nicht an den Pausenspielen oder Quälereien, er drängte sich weder auffällig vor noch drückte er sich, saß bei Schulausflügen immer irgendwo in der Mitte im Bus, hielt sich aus allem heraus. Bis man irgendwann vergaß, dass er überhaupt da war. Selbst seine Lehrer wussten nur wenig über ihn zu sagen. Er fiel nie auf, schrieb durchschnittlich gute Noten, antwortete ausführlich, wenn ein Lehrer ihn zufällig ansprach, und wurde allmählich unsichtbar.
    Genau das, was er wollte. Erst mit Kurkuma hatte sich etwas verändert. Der rote Kater hatte ihm seine Freundschaft und seine Liebe praktisch aufgedrängt. Seit Huan ihn befreit und Kurkuma ihm dabei in die Hand gebissen hatte, war der Kater Huan nicht mehr von der Seite gewichen. Wenn Huan aus der Schule kam, wartete der Kater an der Tür auf ihn und berichtete aufgekratzt von seinen Abenteuern. Wenn Huan aufwachte, starrte der Kater ihn bereits durchdringend an. Manchmal erwachte Huan allein von diesem Blick. Wenn Huan in den Garten ging, folgte der Kater bei Fuß, selbst aufs Klo begleitete er Huan und schaute ihm bewundernd zu, von Mann zu Mann. Huan war die Sonne und Kurkuma ein kleiner roter Planet, der sie ewig umkreiste. Umso verwunderlicher und beunruhigender sein plötzliches Verschwinden.
    Die seltsame Liebe des Katers hatte Huan verändert. Er hatte entdeckt, dass er gewisse Gefühle und Wünsche hatte, wenn er Mädchen sah. Bei Jana vor allem. Im Grunde war nur der Kater schuld, dass Huan sich in Jana verliebt hatte und sich ihm nun immer noch der Magen umdrehte, wenn er an sie dachte. Auch das ein guter Grund, die Schule zu schwänzen. Aber welch besseren Grund konnte es geben, als seinen besten Freund zu finden.
    Huan versuchte es als Erstes an Kurkumas Lieblingsstellen. Seine kleinen Verstecke im Garten zwischen Büschen, eine Kuhle am Zaun, der Geräteschuppen. Huan machte kleine, lockende Schnalzgeräusche und rief den Kater beim Namen. Aber nirgendwo auch nur eine Spur. Huan hatte eine Packung Trockenfutter mitgenommen und ließ es vernehmlich rascheln und klackern. Ein Geräusch, das normalerweise geradezu hypnotisch auf Kurkuma wirkte.
    Diesmal keine Reaktion. Huan suchte das nahe Alsterufer ab, weil er wusste, dass der Kater dort manchmal gerne den Enten zusah. Er traute sich nie, sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher