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Ostwind (German Edition)

Ostwind (German Edition)

Titel: Ostwind (German Edition)
Autoren: Carola Wimmer
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hoffnungsvoll ansah.
    Herr Lessing hob die Stimme. »Mika, Mika, Mika. Man sagt zwar, der Apfel fallt nicht weit vom Stamm, aber in deinem Fall ist er wohl auf einem anderen Kontinent gelandet.«
    Dann überreichte er Mika mit einem Gesichtsausdruck, der Sorge ausdrücken sollte, ihr Zeugnis.
    Mika begriff: Sie war tatsächlich sitzen geblieben. Entgegen aller Rechnerei und Zusagen.
    »Aber, aber … Sie haben doch gesagt, es sieht gut aus fur mich«, stammelte sie.
    Herr Lessing lachelte wie eine Hyane vor der Futterung. »Das nennt man Ermessensspielraum«, sagte er mit einer gewissen Genugtuung.
    Mika glühte vor Zorn. Was für eine ekelhafte Willkür! Was sollte sie jetzt tun? Auch Fanny fühlte sich hilflos. Sie war in sich zusammengesunken wie ein Schluck Wasser.
    In diese stille Verzweiflung hinein läutete die Schulglocke und beendete das Schuljahr. Die Klasse stürzte hinaus, fröhliche und unbeschwerte Sommerferien in Aussicht.
    Auch Herr Lessing nahm seine Tasche und verließ mit federndem Schritt den Raum. Mika und Fanny taumelten hinterher. Im Treppenhaus setzten sie sich frustriert auf die Stufen.
    Mika fühlte sich wie eine unrettbare Versagerin.
    Fanny nahm Mikas Zeugnis und studierte es sorgfältig. »Immerhin! Ne Drei in Religion!«, rief sie schließlich aufmunternd und ließ das Papier sinken.
    Mika löste sich aus ihrer Erstarrung. »Wenn ich wenigstens irgendwas konnte«, sagte sie traurig.
    »Hey, du kannst doch ganz viel!«, widersprach Fanny tröstend.
    Mika horchte auf. »Was denn?« Ihre Stimme klang hoffnungsvoll.
    Fanny überlegte. »Also …«
    »Ja?«
    »Ahhh … ahhh …«, machte Fanny und suchte angestrengt nach einer Antwort.
    Mika ließ den Kopf hängen. »Danke. Fuhl mich schon viel besser«, sagte sie resigniert.
    »Ich bin halt nicht so spontan«, entschuldigte sich Fanny.
    Mika seufzte tief. Sie war nun also tatsächlich eine Sitzenbleiberin. So etwas hatte es in ihrer Familie sicherlich noch nie gegeben. Denn ihre Eltern waren leider blitzgescheit. Sie genossen als Professoren der Physik internationales Ansehen und waren auf Fachtagungen und Kongressen begehrte Gastredner. Mikas Sommerferien wollten sie nutzen, um von Kongress zu Kongress zu reisen. Schon seit Wochen war nichts anderes mehr Thema.
    Mika warf Fanny einen vorsichtigen Seitenblick zu. »Das Feriencamp kann ich jetzt bestimmt knicken«, sagte sie.
    Fanny reagierte entsetzt. »WAS?? Nein!! Das ist gemein! Darauf freuen wir uns seit Monaten!!«
    Traurig sah Mika zu Boden. Schlimmer kann es jetzt eigentlich nicht mehr kommen, dachte sie – als plötzlich ein merkwürdiger Geruch in ihre Nase drang. Sie schnupperte. Was roch denn hier so … nach Feuer?
    Entsetzt entdeckte Mika ihr brennendes Zeugnis in Fannys Händen. Ihre Freundin hatte es kurzerhand angezündet!
    Fanny verzog keine Miene. »Wie bedauerlich. Es gab einen Brand im Lehrerzimmer, deshalb gibt’s die Zeugnisse dieses Jahr erst nach den Ferien«, erklärte sie pragmatisch.
    Schnell versuchte Mika nach dem Zeugnis zu greifen. Doch Fanny hatte es bereits aus dem Fenster geworfen. Das brennende Papier schwebte langsam in die Tiefe außerhalb ihrer Sichtweite.
    »Spinnst du?«, fuhr Mika ihre Freundin völlig entgeistert an.
    Aber nun wurde Fanny sauer. »Was!?«, rief sie. »Ich hab wenigstens Losungen! Und jetzt geh ich packen – mit dir oder ohne dich!« Wütend zog sie ab. Auch das noch!
    »Fanny!«, rief Mika matt. Jetzt fühlte sie sich gänzlich verlassen.
    Müde und todunglücklich trottete Mika die Treppe hinab. Doch als sie das Schulgebäude verließ, wurde sie augenblicklich wieder hellwach. Das durfte nicht wahr sein! Mika traute ihren Augen kaum: Denn ihr Sitzenbleiberzeugnis war nicht einfach schadlos verglüht. Genau genommen war so ziemlich das Gegenteil der Fall: Vom lauen Wind in sanften Abwärtsschrauben getragen, war es ausgerechnet auf der Rückbank eines Mika gut bekannten Oldtimer-Cabriolets gelandet, das auf dem Lehrerparkplatz parkte und hatte den dort liegenden Aktenstapel in Brand gesetzt.
    Voller Entsetzen beobachtete Mika, wie Herr Lessing, nach Hilfe rufend, um sein qualmendes Auto sprang.
    Mika schloss die Augen – konnte es noch schlimmer kommen?

2. Kapitel
    Mit klopfendem Herzen ging Mika nach Hause. Am besten totstellen, die Decke über den Kopf ziehen und einfach nicht da sein!
    Doch kaum war sie ungesehen in ihr Zimmer gehuscht, klingelte es auch schon. Mikas Mutter, Elisabeth Schwarz, öffnete lachelnd die
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