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OstfriesenKiller

OstfriesenKiller

Titel: OstfriesenKiller
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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werden würde. Dabei würde alles berücksichtigt werden. Auch die abwegigsten Dinge, an die sie jetzt gar nicht dachten. Nur eins konnte sicherlich niemand nachempfinden: den Druck dieser Situation. Das Alles oder Nichts.
    »Herr Heide, ich fordere Sie hiermit in aller Form auf, jetzt Ihre Pflicht zu tun«, erklärte der Staatsanwalt. »Wir können das hinterher vor niemandem rechtfertigen. Wenn die schwangere Frau erschossen wird, dann …«
    In diesem Moment rannte Ann Kathrin einfach los.
    »Geben Sie Feuerbefehl, Mensch!«, schrie der Staatsanwalt.
    Weller versuchte erst gar nicht, Ann Kathrin zu halten. Ubbo Heide rannte ein paar Meter hinterher, aber er war zu alt und zu untrainiert, um sie noch einzuholen, das wusste er genau.
    »Ann!«, rief er, »Ann, mach keinen Mist!« Dann, leise, wie nur zu sich selbst: »Pass auf dich auf. Die bringt dich sonst auch noch um.«
    »Was ist jetzt?«, wollte der Scharfschütze von oben wissen. Er hatte Sylvia Kleine immer noch voll im Fadenkreuz. Sylvia hob die Kappe hoch und wischte sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht. Erst jetzt sah der Scharfschütze ihr Gesicht. Eine schöne junge Frau. Er hatte einen Mörder erwartet. Ein Killergesicht. Einen Mann. Warum hatte ihn niemand informiert?
    Er senkte die Waffe. O ja. Er hatte ein Präzisionsgewehr. Und er war bereit, um ein Menschenleben zu retten, einen Killer auszuschalten. Aber dort, das war ja eine Frau. Etwa so alt wie seine jüngere Schwester. Das musste ein Missverständnis sein.
    Er gab nach unten durch: »Das ist ja … eine junge Frau.«
    »Herrgott, hat Ihnen das denn niemand gesagt?«, fragte Heide entsetzt.
    Sylvia sah, dass jemand quer übers Feld auf den Stall zugerannt kam. Sie legte das Gewehr auf die Person an.
    »Sylvie! Sylvie! Nicht schießen! Ich bin’s, Ann Kathrin!«
    »Was willst du hier? Hau ab! Lass mich das zu Ende bringen. Damit hast du nichts zu tun!«
    Ann Kathrin rannte jetzt nicht mehr. Sie bewegte sich langsam, Meter für Meter auf den offenen Pferdestall zu.
    »Ich muss dir etwas Wichtiges sagen, Sylvia.«
    »Bitte helfen Sie mir!«, schrie Pia hysterisch. »Sie hat ein Gewehr! Sie will mich umbringen!«
    Sylvia wollte nicht auf Ann Kathrin schießen. Sie machte einen Schritt auf Pia zu, schlug mit dem Gewehrlauf nach ihr und drückte ihn dann an Pias Kopf. »Komm nicht näher, Ann. Ich knall sie sonst ab!«
    Dann schob Sylvia Pia in die geschlossene Hälfte des Stalles.
     
    Der zweite Scharfschütze meldete vom Dach: »Weg. Sie ist weg. Raus aus dem Schussfeld. Wir haben unsere Chance verpasst.«
    Der erste Scharfschütze stieg vom Dach herunter. »Ich hätte das nicht gekonnt. Dieses Mädchen … Sie hat so ein Kindergesicht. Sie erinnert mich an meine kleine Schwester. Ich bin doch kein …«
    »Quittieren Sie Ihren Dienst, Sie Weichei!«, brüllte Staatsanwalt Scherer. »Scharfschützen, die nicht schießen können, brauchen wir nicht! Sie sind da, um Menschenleben zu retten! Jetzt haben Sie wahrscheinlich eins auf dem Gewissen. Ich habe damit jedenfalls nichts zu tun.«
    Weller räusperte sich: »Ich bin froh, dass Sie nicht geschossen haben. Wenn einer eine Chance hat, Pia Herrstein da lebend rauszuholen, dann Ann Kathrin.«
    »Ihr Wort in Gottes Ohr«, sagte Ubbo Heide. »Wenn das schiefgeht, sind wir alle im Arsch.«
     
    »Sylvia? Ich komme jetzt rein«, sagte Ann Kathrin. »Ich bin alleine. Du musst keine Angst haben. Die anderen sind unten am Haus. Ich bin unbewaffnet. Ich habe die Arme erhoben.«
    »Wer sagt mir, dass du nicht lügst?«, rief Sylvia von innen. »Der Erste, der hier im Licht erscheint, den knall ich ab!«
    »Du würdest wirklich auf mich schießen, Sylvia? Das glaub ich nicht. Bitte lass mich hereinkommen. Ich will nur mit dir reden.«
    Sylvia kaute sich die Unterlippe blutig. Wenn sie zu lange in Stresssituationen war, bekam sie Kopfschmerzen und konnte nicht mehr klar denken. Das konnte bis zu Brechanfällen führen.
    Sie spürte, dass sich ihr Magen zusammenkrampfte, und es war, als würde sich ein Stahlband um ihr Gehirn legen, das sich immer enger zog. Sie brauchte jetzt eine Betreuerin. Eine Beraterin. Jemand, dem sie vertrauen konnte. Vielleicht war es gut, Ann Kathrin hereinzulassen. Aber sie war sich nicht mehr sicher, ob sie ihr wirklich trauen konnte.
    »Gut«, rief sie, »komm rein. Aber nackt.«
    »Warum verlangst du das von mir? Traust du mir nicht? Glaubst du, dass ich eine Waffe trage?«
    »Du hast immer eine Waffe getragen, wenn du bei mir
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