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Ostfriesenblut

Ostfriesenblut

Titel: Ostfriesenblut
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Rohrstock und ließ ihn durch die Luft zischen.
     
    Weller schlief nicht auf dem frischbezogenen Sofa, sondern neben ihr im Ehebett. Er nannte es
Stühlchenliegen
. Er kannte das von einer früheren Beziehung, lange, lange her.
    Er lag nackt hinter Ann Kathrin und berührte so viel von ihrer Hautoberfläche wie nur irgend möglich. Etwas hielt ihn davon ab, auf die Seite von Hero herüberzurutschen. Er wollte lieber mit Ann Kathrin auf ihrer Seite des Bettes schlafen.
    Als er wach wurde, brühte sie bereits Kaffee auf und schob Brotscheiben in den Toaster. Bevor irgendwelche Beziehungsgespräche den Morgen komplizieren konnten, klingelte das Telefon. Das Fehlen der Frauenleiche war bemerkt worden. In Oldenburg. Drei Beerdigungsgäste hatten mit Schockzuständen ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Der evangelische Pastor, Eickhoff, war ebenfalls einem Nervenzusammenbruch nahe, bemühte sich aber, sein Tagwerk so unbeeindruckt wie
möglich fortzusetzen, weil er glaubte, dass seine Schäfchen ihn jetzt noch mehr brauchten als jemals zuvor.
    Ann Kathrin Klaasen war erleichtert. Sie konnte sich zwar gut vorstellen, dass ihr Sohn Eike ihren Computer manipuliert haben könnte, aber er war sicherlich nicht in der Lage, eine Leiche aus Oldenburg zu holen. Weder er noch seine Freunde hatten einen Führerschein.
    Eike war entlastet. Erst jetzt merkte sie, wie schwer der Verdacht auf ihrer Seele gelegen hatte. Sie hätte nicht ihren eigenen Sohn jagen wollen. Sie hatte sich mit so viel Dreck auf der Welt beschäftigt, um ihn sauber zu halten. Sie dachte liebevoll an ihn und hätte in diesem Augenblick gerne sein Gesicht gestreichelt.
    »Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten«, sagte Weller. »Entweder schauen wir uns zuerst die Leichenhalle an oder die Wohnung der Verstorbenen.«
    »Die Wohnung«, entschied Ann Kathrin, »und die Spusi soll zur Leichenhalle.«
    Die Tote hieß Regina Orthner und hatte allein am Stadtrand von Oldenburg im Auenweg 11 gelebt.
    Ann Kathrin Klaasen lief noch schnell ins Badezimmer. Weller wollte nicht warten, bis sie fertig war. Er wusste, dass es oben noch eine Gästetoilette gab. Er nahm jeweils drei Holztreppenstufen mit einem Sprung, aber dann öffnete er die falsche Zimmertür, und er stand nicht im Bad, sondern in Hero Klaasens ehemaligem Therapieraum. Er sah die Fotos vom Banküberfall an der Wand und wusste, dass Ann Kathrin die fixe Idee, eines Tages den Mörder ihres Vaters zu fangen, keineswegs aufgegeben hatte.
    Als Kripomann faszinierte ihn die akribische Arbeit durchaus. Er stellte sich vor, sie würden immer so arbeiten. Jede Sekunde einer Tat aufschlüsseln. Wer hatte wann was wo gesehen, wer stand wo, wer konnte überhaupt gesehen haben, was er angeblich gesehen hatte.
    Sie hatte nicht die Aussagen der einzelnen Leute hintereinander abgeheftet, wie sonst üblich, sondern sie waren zerschnitten und dem Tatablauf zugeordnet. Weller hatte so etwas noch nie gesehen. Jeder Standort und jeder Standortwechsel, jeder einzelne Zeuge war farblich markiert.
    Er las: 14 . 33 Uhr. Zeuge D: »Dann habe ich den Rettungshubschrauber gesehen.«
    14 . 35 Uhr: Zeuge A: »Man konnte den Rettungshubschrauber nicht sehen, nur hören. Er landete direkt auf dem Dach der Sparkasse.«
    12 . 33 Uhr: Leiter des Einsatzkommandos: »Ich habe Befehl gegeben, das Gebäude nicht zu stürmen, um die Bergung der Verletzten nicht zu gefährden.«
    Daneben standen ihre offenen Fragen: Wie hat sich der Hubschrauberpilot legitimiert? Wer hat den Hubschrauber angefordert?
    Dieser ganze Überfall nötigte Weller durchaus einen gewissen Respekt ab. Er war skrupellos militärisch geplant worden. Der angebliche Rettungshubschrauber hatte keineswegs den schwerverletzten Vater von Ann Kathrin Klaasen abtransportiert, sondern nur die Täter samt ihrer Beute. Selten war die Polizei so vorgeführt worden. Viele verglichen diesen Banküberfall mit dem englischen Postraub vom 8 .August 1963 . Der Unterschied war nur, dass diese Bankräuber sicherlich niemals ›Gentlemen‹-Verbrecher genannt werden würden, denn sie waren mit äußerster Brutalität vorgegangen.
    Hinter jeden einzelnen Sekunde gab es einen farbigen Punkt. Meist gelbe, irgendwann dann rote. Als Ann Kathrin hinter ihm stand, war keine Erklärung notwendig. Weller fragte: »Was bedeuten die gelben Punkte?
    Sie antwortete emotionslos: »Da hätte mein Vater noch gerettet werden können.«
    »Du hast deinen Vater sehr geliebt, hm?«, fragte er.
    Sie nickte.
    Weller nahm
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