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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage
Autoren: Iva Procházková
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Totalweiß.«
    Â»Sie gehört uns nicht.«
    Â»Wem gehört sie dann?«
    Â»Ich weiß es nicht«, sagte Darek und zugleich schoss ihm durch den Kopf, dass diese Katze vielleicht doch ihm gehörte! Er hatte sie sich ja ausgedacht und aufgrund seiner Idee hatte sie körperliche Gestalt angenommen.
    Â»Ich nehme sie mit«, verkündete Ema. Darek wollte schon etwas einwenden, aber dann zuckte er bloß mit den Schultern. Es war klar, dass die Katze früher oder später selbst einen Ausweg finden würde. Eher früher. Schon jetzt wehrte sie sich so vehement, dass Ema alle Hände voll zu tun hatte, sie festzuhalten.
    Darek schenkte der Katze und der Schwester keine Aufmerksamkeit mehr und lief weiter. Als sie an der Kneipe vorbeikamen, warf er einen Blick hinein. Am Tisch nahe der Tür aß eine Gruppe Sägewerkarbeiter zu Mittag, daneben saß ein älteres Radfahrerpaar – ihre Fahrräder hatten sie vor dem Eingang abgestellt. Und Herr Mihule stand am Tresen und zapfte Bier. Er nickte zur Begrüßung, als er Darek sah. Darek erwiderte den Gruß und ließ seine Augen über die Stammtischecke schweifen. Sie war leer. Er fühlte sich erleichtert, allerdings nur mäßig. Dass der Vater nicht in der Kneipe saß, war im Großen und Ganzen erfreulich, doch so viel bedeutete es auch wieder nicht. Er könnte genauso gut im Bahnhofsimbiss hocken. Er hätte sich auch Schnaps bei Frau Gajdoschikova besorgen können, die in ihrer Küche neben Zwetschgen und Äpfeln alles brannte, was Zuckerspuren aufwies. Oder er hätte wegfahren können, um Arbeit zu suchen.
    Die letzte Möglichkeit kam Darek am wahrscheinlichsten vor. Gelegenheitsjobs gegen geringen Verdienst, überwiegend auf dem Bau, waren meist in Ostrawa, in Opawa, ab und zu auch in Bruntal oder auf der polnischen Seite der Grenze zu ergattern. Wo auch immer man suchte, Arbeit war in Schlesien schwer zu finden. Als ob sie schnell verdampfte. Schnaps hingegen gab es jederzeit genug. Gleich nach Ostern waren Vater und eine Handvoll Männer noch vor der Morgendämmerung mit einem Minibus zur Jobbörse nach Ratibor aufgebrochen. Abends kehrte der Vater wieder nach Hause zurück – ohne Arbeit, ohne Laune, nur im Hemd. Er stank nach Alkohol und die Lederjacke mit warmem Futter, mit der er losgefahren war, war verschwunden. Als ihn Darek am nächstem Morgen danach fragte, riet der Vater ihm, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern. Darek hakte nicht weiter nach. Ihm war klar, dass er sowieso nichts erfahren würde. Das, was der Vater nicht sagen wollte, bekam man nicht aus ihm heraus. Manchmal schwieg er tagelang und irrte wie ein Geist im Haus herum. Ein breitschultriger rothaariger Geist mit Stoppelbart und Sommersprossen.
    Hinter der Kurve blieb Darek plötzlich wie angewurzelt stehen. Vor ihrem Hof stand ein fremder Wagen. Ein silberner BMW mit polnischem Kennzeichen. Er war blank poliert, sah neu und teuer aus, die schicken Felgen trugen keine Spuren von Schlamm. Darek ging näher heran und schaute durch die Windschutzscheibe hinein: üppig ausgestattetes Armaturenbrett, Sitze mit schwarzem Leder bezogen, am Rückspiegel die lächelnde Jungfrau Maria. Sie schaukelte noch leicht hin und her. Darek berührte die Motorhaube – sie war warm. Der oder die unbekannte Fremde musste erst eben angekommen sein. Warum? Zu wem? Die ganze Sache war so außergewöhnlich, dass Darek ein angenehmes Kribbeln empfand. Nach langen Wochen der Erstarrung, in denen sich seine Umgebung wie ein zusammengerollter Igel verhalten hatte und mit Ausnahme von Vaters Alkoholexzessen nichts los gewesen war, ließ dieses Auto nun hoffen.
    Â»Komm«, forderte er Ema aufgeregt auf. »Jemand ist bei uns.«
    Doch statt einen Schritt zuzulegen, blieb sie stehen und starrte den Wagen an. Die Katze in ihren Armen strampelte, maunzte empört und versuchte, herunterzurobben.
    Â»Lass sie doch laufen!«, redete Darek auf die Schwester ein. »Oder willst du vielleicht total zerkratzt werden?«
    Ema antwortete nicht. Wahrscheinlich hatte sie ihn gar nicht gehört. Wenn ein Gedanke sie beschäftigte, richtete sie all ihre Aufmerksamkeit darauf und war durch nichts und niemanden erreichbar. In solchen Momenten erinnerte sie Darek an ein ausgeschaltetes Empfangsgerät. Jetzt galt ihr ganzes Interesse dem silbernen Wagen. Der Rest der Welt existierte für sie
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